Der Bau von Marineschiffen gehört seit mehr als 100 Jahren zum Kerngeschäft des 1875 gegründeten Bremer Familienunternehmens Lürssen. In den beiden Weltkriegen und seit Gründung der Bundesrepublik spielte Lürssen eine wesentliche Rolle bei der Ausrüstung der jeweiligen deutschen Marinen. Nun aber wird Naval Vessels Lürsen (NVL) an den Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall verkauft, der bislang nicht über maritime Expertise verfügt. Das teilten die Unternehmen am Montag mit, ohne den Kaufpreis zu nennen. Rheinmetall ist Deutschlands größter Rüstungskonzern, der vor allem Kampffahrzeuge, Luftabwehrsysteme, Munition, Drohnen und andere Waffensysteme herstellt.

NVL ist in Deutschland der wichtigste Hersteller von Überwasser-Marineschiffen, von Fregatten, Korvetten, Flottendienstbooten, Versorgungsschiffen, Minenjagdbooten und anderen Schiffstypen wie Tankern. Lürssen hat insgesamt 4100 Mitarbeitende, davon 2100 bei NVL und davon wiederum etwa 550 in Hamburg. Hauptsitz der Lürssen-Gruppe und von NVL ist Bremen-Vegesack.

„Mit dem Verkauf, der in den nächsten Wochen – vorbehaltlich der Genehmigung durch die Wettbewerbsbehörden – formal abgeschlossen werden soll, möchte Lürssen ein Zeichen der Stärke setzen und den Weg für die politisch seit langem gewünschte Konsolidierung in der deutschen Verteidigungsindustrie ebnen“, heißt es in der Stellungnahme von Lürssen. Rheinmetall werde alle Standorte und Mitarbeitenden von NVL übernehmen und das Unternehmen „mitsamt dem bisherigen Management als eigene Division“ in den Konzern integrieren und es dort weiterentwickeln.

„Insbesondere vor dem Hintergrund der verschärften Bedrohungslage halten wir eine Konsolidierung innerhalb der Verteidigungsindustrie für notwendig und sinnvoll. Nur so lässt sich eine schnelle Wehrfähigkeit unseres Landes sicherstellen“, sagt Friedrich Lürßen, Geschäftsführender Gesellschafter der Lürssen Maritime Beteiligungen GmbH & Co KG: „Mit dem Verkauf der NVL an Rheinmetall schaffen wir nun die Voraussetzung für einen leistungsfähigen Defence-Champion mit breit gefächerter Systemkompetenz. Wir freuen uns, mit Rheinmetall einen vertrauensvollen und starken Partner gefunden zu haben, der NVL und ihren Mitarbeitenden eine erfolgreiche Zukunft sichern kann.“

Sein Cousin Peter Lürßen, ebenfalls Geschäftsführender Gesellschafter der Lürssen Maritime Beteiligungen GmbH & Co KG, sagt: „Die Gespräche der letzten Wochen haben gezeigt, dass die Chemie zwischen unseren Unternehmen stimmt und wir ähnliche Werte haben. Uns ist es wichtig, unsere Marinesparte, unser technologisches Know-How und vor allem die rund 2100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NVL in gute und verlässliche Hände zu geben.“

Fertigung von Überwachungssystemen für Meeresregionen

Lürssen war in den vergangenen Jahren durch die Übernahme von Werften im Marineschiffbau deutlich gewachsen und hatte seinen Marineschiffbau als eigenständiges Unternehmen NVL neu aufgestellt. Zu NVL gehören die Werften Blohm+Voss und Norderwerft in Hamburg, Peene in Wolgast und die Neue Jadewerft in Wilhelmshaven. Blohm+Voss ist das Endmontage-Zentrum für Korvetten und Fregatten, die zuvor im Baukastensystem auf anderen Werften vorbereitet werden – etwa in Wolgast, aber auch beim NVL-Konkurrenten German Naval Yards in Kiel.

Derzeit baut NVL einen neuen Geschäftsbereich für den Bau unbemannter Marineschiffe auf. Teil dessen ist ein Joint Venture mit dem britischen Technologieunternehmen Kraken, an dem NVL auch beteiligt ist. Dabei sollen autonom fahrende, schnelle Boote für den Kampf- und Überwachungseinsatz entwickelt werden. Unabhängig davon arbeitet NVL auch an der Fertigung von Überwachungssystemen für Meeresregionen wie die Ostsee, die auf dem Einsatz unbemannter, ferngesteuerter Boote basieren.

Bei vielen Großprojekten wiederum – vor allem den Korvetten und Fregatten – arbeitet NLV eng mit TKMS zusammen, dem Marineschiffbau-Unternehmen, das zum Industriekonzern zu ThyssenKrupp gehört. Zurzeit läuft bei Blohm+Voss die Endmontage, Werfterprobung und Ablieferung von fünf Korvetten des Typs K130. Deren schrittweise Indienststellung hatte sich um mindestens zwei Jahre verzögert, weil nach dem russischen Überfall auf die Ukraine die Software auf den Kriegsschiffen gegen Cyberattacken aufwendig nachgerüstet werden muss.

Belastend wirkt auf NVL auch die Verzögerung beim Bau der neuen deutschen Fregattengeneration F126. Deren Generalunternehmer, das niederländische Unternehmen Damen Naval, hat massive Probleme mit der Konstruktions-Software für die Schiffe. Das Bauprogramm, das mit dem Beginn des Stahlschnitts im Dezember 2023 auf der Peene-Werft in Wolgast gestartet worden war, ist damit bereits um mindestens zwei Jahre zurückgeworfen.

Probleme wie diese weisen darauf hin, dass Lürssen die wirtschaftlichen Risiken bei NVL für die nächsten Generationen von Großkampfschiffen als zu hoch erscheinen. Um den Bau der folgenden Fregattengeneration will sich NVL gemeinsam mit TKMS bewerben. Lange Zeit war darüber spekuliert worden, ob NVL und TKMS gemeinsam einen neuen deutschen Marineschiff-Konzern bilden könnten. TKMS hat seinen Schwerpunkt beim Bau von U-Booten und verfügt aktuell über einen Auftragsbestand von rund 18 Milliarden Euro.

ThyssenKrupp sucht seit längerer Zeit einen neuen Eigner oder zumindest einen Miteigner für TKMS, auch über einen Einstieg des Bundes mit einer Sperrminorität war lange diskutiert worden. Nach einem Beschluss der virtuellen Hauptversammlung von August will ThyssenKrupp die Holding von TKMS an die Börse bringen und 51 Prozent der Anteile selbst behalten.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als 30 Jahren über den Bau von Marineschiffen und mitunter auch über die Deutsche Marine.

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