„Europa ist der Schlüssel für unser Wachstum“
Die Kreuzfahrtbranche machte Hamburg für diese Woche quasi zu ihrer Hauptstadt – mit der Kongressmesse Seatrade Europe und mit den Hamburg Cruise Days am Wochenende. Bei der maritimen Großveranstaltung sind acht Kreuzfahrtschiffe und mehrere Hunderttausend Besucher dabei. Bud Darr, Chef des internationalen Branchenverbandes CLIA, sagte WELT AM SONNTAG, warum die Reedereien heute besser auf ein Ereignis wie die Pandemie vorbereitet sind, welche Rolle synthetische Kraftstoffe für den Klimaschutz künftig spielen und wie die Kreuzfahrbranche das Problem des „Übertourismus“ sieht.
WELT AM SONNTAG: Herr Darr, Sie kennen Hamburg gut. Wie bewerten Sie die Stadt als Kreuzfahrthafen und Reiseziel für Passagiere?
BUD DARR: Hamburg hat alles, was wir in Städten suchen, in denen Kreuzfahrten beginnen oder enden: eine sehr gute Anbindung an Flug und Zug, einen starken Quellmarkt von Gästen, die Lust auf Kreuzfahrten haben, tiefes Wasser und hervorragende maritime Infrastruktur. Ich bin überzeugt, dass Hamburg eine sehr gute Zukunft als Kreuzfahrthafen hat. Das liegt auch an realistischen Kosten und einer praxisnahen Regulierung. Die Stadt ist nicht nur ein idealer Turnaround-Hafen, also Start- und Endpunkt von Kreuzfahrten, sondern auch ein attraktives, interessantes Reiseziel. Das ist die bestmögliche Kombination – gerade, weil zwei Drittel aller Gäste mindestens eine zusätzliche Nacht vor oder nach der Kreuzfahrt bleiben. Da ist Hamburg eine großartige Stadt.
WAMS: Infrastruktur, Anbindung und urbane Attraktivität – sind das die Schlüsselfaktoren für den Erfolg?
DARR: Ganz entscheidend sind gute Hafenanlagen. Die hat Hamburg, und sie werden kontinuierlich verbessert. Der Hafen ist in vielen Bereichen Vorreiter. Sehr wichtig ist die touristische Infrastruktur, also die Zug- und Fluganbindung – und vor allem die Nähe zu einem starken Quellmarkt. Und Deutschland ist der zweitgrößte Kreuzfahrtmarkt der Welt, gleich nach den USA.
WAMS: Hamburg fehlen aber interkontinentale Flüge. Müssten die Airlines, um das Kreuzfahrtgeschäft zu fördern, im Dialog mit den Reedereien mehr Direktverbindungen zwischen den USA und Hamburg schaffen?
DARR: Das wäre wichtig – genauso wie Verbindungen ins europäische Binnenland. Es gibt viele Länder, die nicht über Hafenanlagen wie Hamburg verfügen. Darum könnte Hamburg nicht nur aus Übersee, sondern auch aus anderen Teilen Europas noch mehr Gäste gewinnen. Positiv ist auch, dass die Stadtregierung großes Interesse daran zeigt, die Branche verantwortungsvoll weiterzuentwickeln. Genau diese Art der Zusammenarbeit suchen wir.
WAMS: Welches Wachstum des Kreuzfahrtgeschäftes erwarten Sie für die kommenden Jahre?
DARR: Im vergangenen Jahr haben wir weltweit 34,6 Millionen Gäste befördert, davon kamen 1,3 Millionen über Hamburg – eine beachtliche Zahl. In diesem Jahr erwarten wir 37,7 Millionen. Und bis 2028 rechnen wir mit 42 Millionen Gästen weltweit. Hinter diesem Wachstum stehen auch enorme Investitionen: Im Moment sind 81 neue Kreuzfahrtschiffe im Bau – das entspricht einem Investitionsvolumen von rund 71 Milliarden US-Dollar. Über 95 Prozent dieses Geldes fließen nach Europa, auch nach Papenburg zur Meyer-Werft, einem der führenden Standorte für große Kreuzfahrtschiffe. Ohne Kreuzfahrtschiffbau gäbe es in Europa praktisch keine große Schiffbauindustrie mehr.
WAMS: Die Meyer-Werft wurde nach der Pandemie mehrheitlich vom Bund und dem Land Niedersachsen übernommen, um sie vor dem Untergang zu retten. Welche Rolle spielen europäische Werften für Ihr Geschäft?
DARR: Eine fundamentale. Hier können wir die Schiffe bauen, die unsere Branche braucht. Heute sind es im Grunde nur die vier großen Werften – Meyer Turku, Meyer Papenburg, Chantiers de l’Atlantique und Fincantieri –, die die notwendige Erfahrung, Lieferketten und Strukturen haben. Europa ist der Schlüssel für unser Wachstum, und umgekehrt ist die Kreuzfahrtindustrie für sie lebenswichtig.
WAMS: Auch Chinas Werften drängen in den Kreuzfahrtmarkt.
DARR: Die Chinesen sind strategisch sehr klug und denken langfristig. Aber der Lernprozess beim Bau von Kreuzfahrtschiffen ist immens. Europäische Werften haben jahrzehntelange Erfahrung, gerade bei komplexen Lieferketten. Das lässt sich nicht einfach kopieren. China wird sich irgendwann stärker engagieren – aber das braucht Zeit. In der Zwischenzeit hat Europa die Chance, seine Führungsrolle auszubauen, besonders in der Energiewende.
WAMS: Können die europäischen Werften ihren Vorsprung verteidigen?
DARR: Absolut. Wenn Regierungen in Europa den geeigneten Rahmen schaffen, bleiben die Werften führend – vor allem bei klimaneutralen Antrieben.
WAMS: Bis 2050 soll die Schifffahrt klimaneutral sein. Wann erreicht die Kreuzfahrtbranche dieses Ziel?
DARR: Unser Ziel ist bis 2050 netto null Treibhausgasemissionen. Technologie ist nicht das größte Hindernis – entscheidend ist die Verfügbarkeit neuer Kraftstoffe. Hier sind wir auf andere Industrien angewiesen, und auch die brauchen politischen Rückenwind. Nur mit einer groß angelegten Produktion für erneuerbare Kraftstoffe lässt sich der 2050-Zeitplan einhalten.
WAMS: Welche Kraftstoffe werden künftig dominieren – Methanol etwa auf Basis von grünem Wasserstoff?
DARR: Derzeit verfolgen wir zwei Pfade: LNG/Methan und Methanol. Beide Varianten müssen langfristig von fossilen auf synthetische oder biobasierte Formen umgestellt werden. Kurzfristig bringen sie gewisse Vorteile, langfristig führt kein Weg an synthetischen Kraftstoffen vorbei. Grüner Wasserstoff ist als Grundstoff entscheidend, auch wenn reiner Wasserstoff wegen Lagerung und Sicherheit kaum eine Rolle im großen Maßstab spielen wird. Ammoniak kann für die Handelsschifffahrt wichtig werden, aber nicht für Kreuzfahrten.
WAMS: Die Pandemie mit ihren Lockdowns hat die Kreuzfahrtbranche stark erschüttert. Ist sie heute besser vorbereitet auf so ein Ereignis?
DARR: Wir sind heute besser aufgestellt. Wir haben viel gelernt – etwa beim Umgang mit Gesundheitsprotokollen, beim Umgang mit Verdachtsfällen und beim Flottenmanagement. Außerdem hat die Pandemie dazu geführt, dass ältere Schiffe ausgemustert und durch moderne ersetzt wurden. Das hat die Flottenqualität erhöht.
WAMS: Waren Sie überrascht, wie schnell sich die Branche erholt hat?
DARR: Ja, völlig. Ich war überzeugt, dass wir uns erholen, aber das Tempo und die Stärke haben mich überrascht. Heute ist die Branche sehr gesund, trotz der Schulden aus der Pandemie.
WAMS: In Europa wird zunehmend über ,Overtourism‘ gestritten, sei es in Barcelona oder Venedig. Wie geht die Kreuzfahrtbranche damit um?
DARR: Wir müssen die Sorgen ernst nehmen, den Dialog mit den Städten suchen und Lösungen entwickeln. Oft sind die Ursachen komplexer, als es scheint. In Venedig etwa sanken die Zahlen der Kreuzfahrtgäste, aber die Gesamtzahl der Touristen stieg dennoch. In Barcelona leisten wir unseren Beitrag, aber die größeren Probleme liegen beim Massentourismus generell.
WAMS: Wären kleinere Schiffe eine Lösung für die Kreuzfahrtbranche?
DARR: Für bestimmte Destinationen sind kleinere Schiffe besser geeignet. Aber es wird weiterhin Bedarf für kleine, mittlere und große Schiffe geben. Die heutige Flotte besteht zu je einem Drittel aus allen Größen.
WAMS: Welche Folgen haben die Handelskonflikte zwischen den USA und Europa für die Kreuzfahrtbranche?
DARR: Bisher sind die Auswirkungen überschaubar. Wir kaufen Lebensmittel, Dienstleistungen und Waren lokal und regional ein. Das stärkt regionale Anbieter und macht uns resilienter. Indirekt kann sich die Stimmung negativ auswirken. Problematisch wird es erst, wenn Handelskonflikte die Weltwirtschaft ernsthaft schwächen.
WAMS: Wie sehen Sie den chinesischen Kreuzfahrtmarkt?
DARR: China hat ein enormes, bislang ungenutztes Potenzial. Jährlich reisen über 100 Millionen Chinesen international, aber nur ein Bruchteil per Kreuzfahrt. Ein bis zwei Prozent dieses Markts wären schon riesig. Doch der Markteintritt ist schwierig: durch staatliche Kontrolle, kulturelle Unterschiede und spezielle Geschäftsstrukturen. Derzeit sind es nur etwa 7,5 Prozent der weltweiten Kreuzfahrtgäste, die aus China kommen – viele davon nicht in China selbst. Aber das Potenzial bleibt riesig, besonders langfristig in Asien.
WAMS: Also wird es auch künftig schwer bleiben, als westliche Reederei Fuß in China zu fassen?
DARR: Ja. Lange Zeit mussten West-Reedereien über große chinesische Reiseveranstalter verkaufen, die zwischen uns und den Gästen standen. Das ist kein gutes Modell. Es gibt zwar Reformen, aber die Struktur bleibt herausfordernd. Manche Unterschiede sind grundsätzlicher Natur, weil die chinesische Wirtschaft staatlich anders gesteuert wird. Für uns Westler ist vieles schwer vereinbar mit der Art, wie wir Wettbewerb verstehen.
Seit 2025 leitet Bud Darr die Cruise Lines International Association (CLIA) in Washington. CLIA repräsentiert 310 Kreuzfahrtschiffe und rund 170 Milliarden Dollar wirtschaftliche Wertschöpfung (2023). Die Mitgliedsreedereien stehen für etwa 90 Prozent der Hochseekapazität bei den Kreuzfahrtschiffen. Schon von 2010 bis 2017 hatte Darr für CLIA gearbeitet. Danach war er bei der MSC Group zuständig für politische Themen und Regierungsbeziehungen, dem weltgrößten Maritimkonzern, dem auch rund die Hälfte der Anteile am Hafenlogistikgeschäft der Hamburger HHLA gehören. Darr diente als Offizier der US-Küstenwache, der Marine und der Handelsmarine.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über die maritime Wirtschaft, über Schifffahrt, Häfen und Werften.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke