Fast genau zehn Jahre ist es her, dass Angela Merkel ihre bis heute wahrscheinlich berühmteste Sätze sagte, die noch weit über ihre Kanzlerschaft hinausstrahlen sollten. „Wir haben so vieles schon geschafft. Wir schaffen das“, so Merkel in der Bundespressekonferenz anlässlich der tausenden Menschen, die damals jeden Tag nach Deutschland strömten, um hier Asyl zu beantragen.

Ob Deutschland es heute – zehn Jahre später – geschafft hat, ist wohl eher eine gesellschaftspolitische Frage. Der Frage, inwiefern es die Menschen, die damals gekommen sind, selbst geschafft haben, ist nun das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nachgegangen. Die Ergebnisse sind bemerkenswert. Und sie werfen neue Fragen auf. WELT hat sich die Zahlen im Detail angesehen.

Laut der Studie haben die meisten Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen, heute einen festen Platz in der Gesellschaft gefunden. Knapp die Hälfte derjenigen zwischen 18 und 65 Jahren arbeitete fünf Jahre nach ihrer Ankunft, nach acht Jahren hatten 68 Prozent einen Job. Das sind nur sechs Prozentpunkte weniger als im Bevölkerungsdurchschnitt. Die Gruppe hat sich also sehr stark angenähert. Hinzu kommen noch rund fünf Prozent Selbstständige.

Große Geschlechter-Differenz

„Ich selbst habe 2015 vermutet, dass wir bei gut 50 Prozent rauskommen werden. Im Bereich des Arbeitsmarktes haben wir also mehr geschafft, als ich damals erwartet hatte“, sagt Studienautor Herbert Brücker.

Die Frage, ob „wir es geschafft haben“, sei dennoch nicht eindeutig zu beantworten. Unter anderem deshalb, weil es zwischen Männern und Frauen eine große Diskrepanz gibt. So sind 54 Prozent der 2015 geflüchteten Frauen auf Sozialleistungen angewiesen. Während 76 Prozent der Männer arbeiten, sind es nur 35 Prozent der Frauen.

Brücker sieht dafür aber nicht kulturelle Gründe als Hauptursache – etwa ein rückständiges Frauenbild in streng muslimisch geprägten Familien. Die Frauen aus der betrachteten Kohorte hätten deutlich häufiger Kinder als deutsche Frauen: im Durchschnitt drei. „Das ist einer der wichtigsten Faktoren dafür, dass Frauen weniger arbeiten“, so Brücker.

Generell arbeiten die damals geflüchteten Menschen heute häufig in der Zeitarbeitsbranche, aber ein Drittel hat inzwischen eine Position auf Fachkraft-Niveau erreicht. Viele der Menschen arbeiten laut IAB allerdings unterhalb ihrer eigentlichen Qualifikation oder erhalten niedrigere Löhne als Deutsche.

Mittlerweile wurde die Studie in den deutschen Medien breit aufgegriffen. Bei näherer Betrachtung allerdings gibt es etliche Fragezeichen. Zunächst wird in der Studie nur im Kleingedruckten erwähnt, dass die Daten auf einer Befragung beruhen und dann hochgerechnet wurden. Wie viele Menschen befragt wurden, weist die Studie jedoch nicht aus. Auf Nachfrage von WELT konkretisiert Studienautor Brücker die Methodik.

Die Befragung findet jährlich statt. In der aktuellen Runde nahmen 3902 Personen teil, 95 Prozent davon flossen in die Zahlen der Statistik ein. Über die Ausländerbehörden seien die Studienautoren an die Adressen der Teilnehmer gekommen; vor Ort wurden diese dann persönlich befragt. Die Ergebnisse seien deshalb präziser als durch Telefon- oder Online-Umfragen, sagt Brücker.

Dennoch stellt sich die Frage: Kann eine derart kleine Gruppe repräsentativ sein für die mehr als eine Million Menschen, die seit 2015 in Deutschland Asyl beantragten? Brücker sagt, ja – doch auch hierbei ist Skepsis angebracht. Denn die amtliche Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) weist etwas ganz anderes aus.

So sind, Stand Mai 2025, nur 41 Prozent der Menschen aus den acht Hauptasylherkunftsländern in Beschäftigung. Rechnet man geringfügige Beschäftigte hinzu, sind es 47,6 Prozent. So erklärt sich auch der immerzu gestiegene Ausländeranteil im Bürgergeld. Fast die Hälfte der mehr als fünf Millionen Empfänger hat keinen deutschen Pass, Tendenz weiter steigend.

Da auch die Bundesregierung die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge als zu niedrig erachtete, startete Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) 2023 den „Job-Turbo“. Dessen Bilanz fällt durchwachsen aus. Die Beschäftigungsquoten konnten zwar gesteigert werden, hinter den selbst gesteckten Zielen blieb das Programm allerdings zurück.

Zur Bilanz ein Jahr nach Start des Programms sprach der ehemalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von einem Erfolg. Insgesamt hatten innerhalb eines Jahres 142.866 Personen aus der Ukraine und den Hauptasylherkunftsländern einen Job begonnen. Allerdings sprach Ex-Arbeitsminister Heil von rund 400.000 Flüchtlingen mit Bleibeperspektive, die aus abgeschlossenen Integrations- und Sprachkursen in Jobs vermittelt werden sollten.

Um eine tiefgehende Bilanz zu ziehen und Aussagen über die Nachhaltigkeit zu treffen, bedarf es aber auch der Zahl der Abgänge: Wie viele Personen verloren oder kündigten ihren Job? Das wurde in der Jobturbo-Bilanz nicht näher erläutert.

Der größte Zuwachs wurde zuletzt bei den Menschen aus der Ukraine verzeichnet, die kein Asyl beantragen müssen. Sie sind laut IAB im Schnitt deutlich besser qualifiziert als Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Co. Allerdings ist auch hier der überwiegende Teil nach wie vor auf Sozialleistungen angewiesen. Im Mai waren 29,5 Prozent in Arbeit, zählt man geringfügig Beschäftigte hinzu, waren es 34,9 Prozent.

Brücker sagt, diese Statistik berücksichtige allerdings nicht, wer wann gekommen ist. Da die Beschäftigungsquote mit fortlaufender Zeit ansteigt und nur die allerwenigsten Flüchtlinge im ersten Jahr nach Ankunft arbeiten, sei die Betrachtung von Kohorten sinnvoll. So arbeiten zwei Jahre nach Ankunft nur 19 Prozent der 2015 Zugezogenen, nach vier Jahren waren es 38 Prozent. Nach sieben Jahren waren es mit 56 Prozent erstmals mehr als die Hälfte.

Ein Grund, warum die Quoten nur langsam steigen, erklärt sich durch simple Mathematik. Weil viele Beschäftigungsverhältnisse nicht von Dauer sind und die Zahl neu ankommender Flüchtlinge weiter hoch ist, steigt die Quote trotz der vielen Jobaufnahmen nur überschaubar an.

Brücker erwartet dennoch, dass sich die Beschäftigungsquote weiterhin positiv entwickelt, auch bei denjenigen, die in den vergangenen Jahren gekommen sind – mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus den Asylherkunftsländern kam erst nach 2015 nach Deutschland.

„Zu beachten ist allerdings, dass die Ausgangslage am Arbeitsmarkt von 2015 bis zur Corona-Pandemie sehr günstig war“, sagt er. Seit nunmehr drei Jahren steckt das Land in einer Stagnation, die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen hat deutlich abgenommen. Die Entwicklung könne deshalb „etwas gedämpfter“ verlaufen, sagt Brücker.

Einzelne Gruppen mit Verzögerung zu betrachten, ergibt also Sinn. Und zweifellos gibt es Erfolge. Da in der Studie allerdings komplett darauf verzichtet wird, die Kosten für die Fluchtmigration und die Auswirkungen in anderen Bereichen zu betrachten, kann die Frage, „ob wir es geschafft haben“, dadurch wohl kaum beantwortet werden.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.

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