Eine Konstante gibt es bei der Deutschen Bahn auch in diesen wirren Zeiten – wie sie es macht, macht sie es falsch. Ob Neubau, Ausbau oder gar kein Bau: Der Konzern, der dem Bund gehört, wird für jede Variante mit massiver Kritik konfrontiert.

Für Hamburg sind diese teils jahrzehntelangen Debatten besonders schlecht. Die zweitgrößte deutsche Stadt ist einer der wichtigsten Knotenpunkte für den Bahnbetrieb in Deutschland. Was in Hamburg stockt und steht, setzt sich in Verspätungen und Ausfällen im gesamten deutschen System fort.

Milliarden Euro an Investitionen plante die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren allein in Hamburg, um Engpässe aufzulösen und um das Schienennetz zu modernisieren. Eines der wichtigsten Projekte dabei ist der sogenannte Verbindungsbahn-Entlastungstunnel (VET). Doch das S-Bahn-Projekt ist derzeit wieder völlig ungewiss.

Der Tunnel soll Hamburgs überstrapazierte oberirdische Verbindungsbahn zwischen Hauptbahnhof und Altona entlasten und Platz für den Fernverkehr schaffen. Zwar bekennen sich sowohl der neue rot-grüne Hamburger Senat als auch die schwarz-rote Bundesregierung grundsätzlich zur Stärkung der Bahn – konkrete Zusagen für den Tunnel von Bundesseite fehlen jedoch.

Die Entscheidung über die Trassenführung wurde verschoben, die Finanzierung ist offen, und die Haushaltslage des Bundes lässt wenig Spielraum für Großprojekte mit elf Jahren Bauzeit und Milliardenrisiken. Während die Bahn derzeit von 2,6 Milliarden Euro spricht, rechnen Kritiker mit bis zu neun Milliarden Euro. Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) räumt Verzögerungen ein, das Bundesverkehrsministerium spricht vage von „intensiven Abstimmungen“.

In Fachkreisen werden längst Alternativen diskutiert – etwa der Ausbau des Bahnhofs Dammtor. „Bei der Entscheidung für eine konkrete Variante ist für uns zentral, dass diese schnell umgesetzt werden kann und die Kosten nicht explodieren“, sagt Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg.

Die Kritik der Grünen im Bundestag an der Mittelverwendung im neuen Infrastruktur-Sondervermögen verstärkt aber die Zweifel, ob der Entlastungstunnel überhaupt realisiert wird. Die Bundestagsfraktion bemängelt, dass von den ursprünglich für den Verkehrsbereich vorgesehenen 300 Milliarden Euro nur rund fünf Milliarden Euro pro Jahr tatsächlich bereitgestellt würden. Tarek Al-Wazir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag, kritisiert, dass im Sondervermögen zwar Geld für die Sanierung des Netzes vorgesehen sei, nicht aber für den dringend nötigen Aus- und Neubau. Hinzu kommen massive Kostensteigerungen bei laufenden Generalsanierungen: Die Strecke Frankfurt–Mannheim kostete dreimal so viel wie geplant, bei Berlin–Hamburg droht ein ähnliches Szenario.

Massiv unter Druck steht die Deutsche Bahn bei der Generalsanierung der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Hamburg und Berlin aber nicht nur wegen möglicher Kostensteigerungen. Die Trasse ist zwischen dem 1. August 2025 und dem 30. April 2026 komplett gesperrt. Die Bahn hält das Konzept der Generalsanierungen für das einzig realistische Mittel, um den Investitionsstau ihrer wichtigsten Schienentrassen überhaupt auflösen zu können. Viele Pendler und auch die Wirtschaft sehen das aber kritisch – die Fahrzeit zwischen Hamburg und Berlin verlängert sich von normalerweise eindreiviertel bis zwei Stunden um etwa 45 Minuten, die Züge werden über Uelzen und Stendal umgeleitet. Die Alternative aber wären jahrelange Sanierungsarbeiten bei laufendem Betrieb auf der Strecke.

„Vor die beiden Optionen gestellt, ist die nun gewählte Variante vermutlich das geringere Übel“, sagt Heyne. „Allerdings ist auch diese für viele unserer Mitgliedsbetriebe mit großen Belastungen verbunden. Betroffen sind insbesondere Pendler, Geschäftsreisende, Eisenbahnverkehrs- und Logistikunternehmen.“ Die Bauarbeiten müssten daher „dringend innerhalb des gesetzten Zeitrahmens abgeschlossen werden. Höchst bedauerlich ist, dass auf den gleichzeitigen Einbau des Europäischen Verkehrsleitsystems ETCS verzichtet wurde. Eine spätere Nachrüstung darf nicht zu erneuten Sperrungen der Strecke führen.“

Streit gibt es inzwischen auch wieder zu der Frage, ob die Bahn zwischen Hamburg und Hannover eine zweite Trasse als Ergänzung zur heutigen Strecke bauen soll. Die Bahn hält eine Neubautrasse – die westlich der heutigen Strecke entlang der Lüneburger Heide verlaufen würde – für unverzichtbar. Etliche Politiker sind gegen einen Neubau – etwa Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (beide SPD). Klingbeil, durch dessen Wahlkreis die Strecke verlaufen würde, unterstützt den regionalen Widerstand gegen das seit Jahrzehnten debattierte Projekt.

Bedeutsam ist dieser Streit auch für Hamburgs Wirtschaft: „Die Strecke zwischen Hamburg und Hannover ist bereits seit Langem ein Nadelöhr im bundesdeutschen Schienennetz. Und das, obwohl Hamburg mit Deutschlands größtem Seehafen und dem bundesweit meistfrequentierten Hauptbahnhof der zentrale Logistikknotenpunkt des Nordens ist“, sagt Heyne. „Für die Hamburger Wirtschaft ist daher eine bedarfsgerechte Kapazitätsausweitung auf der Schiene zwischen Hamburg und Hannover entscheidend. Wichtig ist zudem, dass dies möglichst schnell geschieht. Eine weitere, jahrelange Hängepartie können wir uns gerade an dieser neuralgischen Stelle nicht erlauben.“

Hamburgs rot-grüner Senat will den bereits sehr hohen Bahnanteil beim Hafentransport noch weiter ausbauen. Das allerdings kann der Hansestadt nur gemeinsam mit dem Bund gelingen. Die für den Hafen zuständige Wirtschaftsbehörde schreibt: „Eine zügige und kontinuierliche Modernisierung und Instandhaltung der Hinterlandanbindungen im Netz der Deutschen Bahn ist eine zentrale Voraussetzung, um die Rolle des Hamburger Hafens im Schienengüterverkehr nicht nur zu sichern, sondern weiter auszubauen.“

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschand.

Julia Witte genannt Vedder ist Managing Editor der WELT AM SONNTAG in Hamburg.

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