Arbeiten schwer gemacht
Zu hohe Sozialleistungen, zu wenig Anreiz zum Arbeiten? Über die Versorgung ukrainischer Flüchtlinge mit Bürgergeld wird heftig gestritten. Viele kämpfen mit Anerkennung, Sprachbarrieren und Jobsuche.
Alexandra Fedosha aus Ostfildern floh vor drei Jahren mit ihrer Familie aus der Ukraine. Heute arbeitet sie als Bürokauffrau bei einem Hersteller von Gewürzmischungen. Das Unternehmen verkauft an Privatkunden, beliefert aber auch den Großhandel. Viel wird exportiert, auch nach Osteuropa. Da ist es von Vorteil, dass Fedosha ukrainisch spricht.
Sie ist dankbar für diesen Job. In der Ukraine hatte Fedosha einen eigenen Betrieb, einen Großhandel für Sand und Kies. Doch in Deutschland angekommen, musste sie erst einmal ganz neu anfangen, mit einer einfachen Arbeit: als Verkäuferin. Arbeiten sei auf jeden Fall besser als Bürgergeld zu bekommen, sagt sie. Ihr Diplom in Betriebswirtschaftslehre wurde hier ohne größere Probleme anerkannt.
Nicht so viel Glück hat ihr Mann Ruslan Fedosha. Er hat als Zahnarzt bereits zehn Jahre in der Ukraine praktiziert. Jetzt arbeitet er zwar auch wieder in einer Zahnarztpraxis, darf hier in Deutschland aber nur assistieren. Sein Diplom von der Universität Poltawa, eine Stadt mit knapp 300.000 Einwohnern und - zufälligerweise - die Partnerstadt von Ostfildern, wird in Deutschland bislang nicht anerkannt. Dafür kämpft er noch und will einen Gutachter beauftragen, der dann die Lehrpläne in Deutschland und der Ukraine vergleicht.
Häufig keine Arbeit möglich
Im Juli dieses Jahres haben etwa in Baden-Württemberg rund 68.200 erwerbsfähige Ukrainerinnen und Ukrainer Bürgergeld erhalten. Die meisten, über zwei Drittel, stehen dem Arbeitsmarkt allerdings nicht zur Verfügung, etwa weil sie sich in Schule, Ausbildung oder Fördermaßnahmen befinden, an Integrationskursen teilnehmen oder mit Erziehung und Pflege beschäftigt sind.
Im Mai lag die Beschäftigungsquote von Ukrainerinnen und Ukrainern in Baden-Württemberg bei 36,5 Prozent - das heißt mehr als jeder Dritte im Alter zwischen 15 und 65 Jahren hat gearbeitet.
Beispiel Baden-Württemberg 68.200 erwerbsfähige Ukrainerinnen und Ukrainer beziehen Bürgergeld. Aber nur 38 % stehen dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung. Die übrigen 62 % können aus folgenden Gründen nicht arbeiten:- 16,4 % sind in Integrationskursen
- 15,0 % sind in Ausbildung oder Schule
- 10,6 % sind in Aufstocker
- 5,3 % sind aufgrund von Erziehungs-/Pflegeaufgaben nicht verfügbar
- 4,8 % befinden sich in arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen
- 9,8 % befinden sich in einem sonstigen Status (sind z. B. krank)
Deutschland liegt im Mittelfeld
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern liegt Deutschland im Mittelfeld. Besser läuft es zum Beispiel in Dänemark, dort hat man schneller höhere Erwerbstätigenquoten erreicht.
Yulya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereiches Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, eine Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg) erklärt, warum: "Diese sind aber primär in prekären Arbeitsmarktverhältnissen und mit sehr niedriger Entlohnung. Es gibt Länder, wo die Erwerbstätigenquoten etwas niedriger sind, zum Beispiel Schweiz oder Norwegen. Die setzen aber wie Deutschland auf Nachhaltigkeit, also auf Spracherwerb zuerst, und das wirkt langfristig positiv und führt zu höheren Erwerbstätigenquoten."
Alexandra Fedosha und ihr Mann Ruslan arbeiten beide. Das sei doch auch völlig normal, sagen sie. Beide kennen aber auch Fälle, in denen ukrainische Flüchtlinge deutlich gesagt haben, dass sie lieber Bürgergeld beziehen, als sich eine Arbeit zu suchen. Allerdings seien das eher Ausnahmen.
Asylleistungen statt Bürgergeld
Auch aus solchen Gründen soll künftig gelten: Flüchtlinge aus der Ukraine, die seit April nach Deutschland gekommen sind, sollen in Zukunft kein Bürgergeld mehr erhalten, sondern Asylleistungen. Das bedeutet für Alleinstehende: Bisher haben sie 563 Euro pro Monat bekommen, künftig werden es 441 Euro sein. Weniger Geld für ukrainische Flüchtlinge, damit mehr von ihnen künftig arbeiten - das ist die Idee.
Arbeitsmarkt-Expertin Kosyakova hält nicht viel davon: Zwischen der Zahlung von Transferleistungen wie Bürgergeld und der Tatsache ob jemand arbeitet, gebe es keinen Zusammenhang. Die Höhe der Leistungen beeinflusse nicht, wie viele ukrainische Geflüchtete Arbeit finden, sagt sie.
Andere Gründe würden eine größere Rolle spielen: "Das sind natürlich individuelle Faktoren. Also dass man die deutsche Sprache spricht, in Deutschland. Die Anerkennung von beruflichen Abschlüssen, für die Frauen die Kinderbetreuungsmöglichkeiten, und aus der gesamtwirtschaftlichen Perspektive ist es wichtig, dass die Wirtschaft mitspielt. Wir haben einfach eine schlechte Konjunkturlage und das führt besonders für die Neuzugezogenen zu schlechteren Arbeitsmarktintegrationschancen."
Vergebliche Jobsuche
Wenig Erfolg auf dem Arbeitsmarkt hatte bislang Nataliia Brynenko in Stuttgart. Im April 2022 kam sie hier an, auf der Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat Ukraine. 24 Jahre war sie als Ukrainisch-Lehrerin tätig. Sie vermisse ihre Schule, will auch künftig gerne mit Kindern arbeiten. Zum Beispiel als Schulbegleiterin oder in einer Kita.
Entsprechende Erfahrungen hat Brynenko bereits gesammelt - sie arbeitete ohne Bezahlung mehrere Monate in einer Grundschule und einer Kita, ehrenamtlich und als Praktikantin. Aber einen richtigen Job mit Bezahlung zu finden, scheint fast unmöglich.
Unzählige Bewerbungen hat sie geschrieben. Das Ergebnis ist ernüchternd: Sie bekomme nur Absagen, in den meisten Fällen sogar überhaupt keine Antwort. Dabei würde sie lieber arbeiten und auf Bürgergeld und Wohngeld verzichten. "Es gibt einen großen Unterschied zwischen Geld bekommen und Geld verdienen. Ich möchte mein Geld verdienen", sagt Brynenko. Sie hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, eine Stelle zu finden und künftig nicht mehr von staatlichen Zahlungen wie dem Bürgergeld abhängig zu sein.
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