„Katastrophendemenz“ – So schlecht sind Deutschlands Städte auf die Hitze vorbereitet
Mehr als 30 Grad im Schatten – für manche endlich ein richtiger Sommertag, für andere wird die Hitze aber zur tödlichen Bedrohung: Allein in den vergangenen zwei Sommern starben jeweils etwa 3000 Menschen in Deutschland an den Folgen von Hitze. Betroffen waren vor allem Menschen über 75 Jahre mit Vorerkrankungen etwa des Herz-Kreislauf-Systems oder der Lunge. Das fanden Forscher des Umweltbundesamts (UBA) und des Robert-Koch-Instituts (RKI) in einer Anfang Juni veröffentlichte Studie heraus.
Über vier Jahre arbeiteten sie daran, eben jene Zahl zu präzisieren. Sie macht einmal mehr deutlich: Hitze ist keine abstrakte Bedrohung mehr – sie fordert hierzulande längst Menschenleben.
Besonders gefährlich wird es in Städten. Dort stauen sich die Temperaturen, Betonhäuser, Straßenasphalt und versiegelte Plätze speichern die Wärme – sogenannte Wärmeinseln entstehen. Zugleich gibt es wenig Grün mit schattigen Rückzugsorten. Die Folge: In urbanen Gebieten ist die Sterblichkeit durch Hitze laut RKI-Studie deutlich höher als auf dem Land, besonders in West- und Süddeutschland.
„Katastrophendemenz“ nach jeder Hitzewelle
Doch ausgerechnet dort, wo die Hitzebelastung am höchsten ist, fehlt vielerorts noch immer die Antwort. In deutschen Städten und Kommunen hat der Prozess der Klimaanpassung oft erst begonnen. Svenja Binz, Architektin, am Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), warnt im Gespräch mit WELT: „Nach jedem Extremereignis gibt es kurzzeitig Interesse – doch dann setzt die Katastrophendemenz wieder ein. Deshalb sind unsere Städte nicht gut gerüstet für Hitzeereignisse – und schon gar nicht für die in der Zukunft.“
Was also tun gegen aufgeheizte Städte? Immerhin gehen Experten davon aus, dass die Zahl heißer Tage pro Jahr in Zukunft zunehmen wird.
Frankreich macht es bereits vor. Das Land hat schon vor mehr als zwanzig Jahren einen nationalen Hitzeschutzplan etabliert. Tritt die höchste Alarmstufe ein, die in Zusammenarbeit mit dem Wetterdienst bestimmt wird, gibt es einen Krisenstab, bestehend aus Polizei und kommunalen Vertretern.
Zudem müssen Pflege- und Altenheime laut Gesetz selbst Hitze-Krisenpläne entwickeln, mindestens einen klimatisierten Gemeinschaftsraum, aber auch Personal für Hitzewellen vorhalten.
Und auch Unternehmen werden in die Pflicht genommen: Ab dem 1. Juli müssen sie laut einer neuen Verordnung bestimmte Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit von Beschäftigten besser zu schützen. Sie müssen Schutzkleidung und frisches Trinkwasser bereitstellen, aber auch Arbeitszeiten so anpassen, dass Mitarbeiter keiner intensiven Hitze ausgesetzt sind. Wer sich nicht an die Verordnung hält, dem drohen Strafen bis zu 10.000 Euro je betroffenem Mitarbeiter.
Doch Deutschland ist nicht wie Frankreich ein Zentralstaat, in dem man auf Bundesebene verpflichtende Vorgaben für Hitzepläne machen kann. Noch gibt es in Deutschland keine einheitlichen Vorgaben für Länder und Kommunen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Zwar wollte die ehemalige Bauministerin Klara Geywitz (SPD) das ändern: Mit einer Reform des „Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung“ (BauGB) sollten Kommunen dazu verpflichtet werden, Klimarisiken wie Hitze und Starkregen in ihre Bauplanung einzubeziehen – etwa über verpflichtende Klimaanpassungskonzepte. Am Ende blieb es jedoch lediglich bei einem Änderungsentwurf – gestoppt vom Ende der Ampel-Koalition.
Das Thema ist aber noch nicht vom Tisch. Die aktuelle Bauministerin Verena Hubertz (SPD) will mit ihrer neuen Reform des Bauplanungsrechts auch die Klimaanpassung in Städten forcieren. Schon im laufenden Jahr will sie zudem die Fördergelder für den Städtebau in Höhe von 790 Millionen Euro bereitstellen und später erhöhen. „Bis 2029 verdoppeln wir die Mittel für die Städtebauförderung schrittweise auf 1,58 Milliarden Euro, damit mehr Grün entstehen, versiegelte Flächen reduziert und Wasser in der Stadt besser gespeichert werden kann“, sagt Hubertz dem „Tagesspiegel“ Anfang Juli.
Wie nötig das ist, zeigen aktuelle Zahlen des „Zentrum Klimaanpassung“ (ZKA) am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Bundesweit zählt dieses lediglich 40 beschlossene Hitzepläne in Kommunen, die umgesetzt werden können. In der Regel in größeren und mittleren Städten. Zwar gibt es auch Bundesländer, die einen Hitzeaktionsplan für das ganze Land haben, wie Brandenburg oder Hessen, sowie Städte, die auch ohne Hitzeaktionsplan aktiv sind. Trotzdem wirkt die Zahl der existierenden Hitzepläne angesichts von rund 11.000 Kommunen in Deutschland gering.
Die Einschätzung von Andrea Fischer-Hotzel, Leiterin des ZKA, fällt deshalb eindeutig aus: „Deutlich weniger Kommunen haben einen funktionsfähigen Hitzeaktionsplan, als es nötig wäre“, sagt sie. Der Hauptgrund, warum diese oft nicht vorhanden sind? „Städte haben kein Geld und kein Personal dafür“, so Fischer-Hotzel. Großstädte seien in der Regel weiter in der Klimaanpassung als die kleineren Städte und Gemeinden, weil sie mehr Ressourcen hättet und diese flexibler einsetzen können.
„Klassische Klimaanlagen sind der letzte Ausweg“
Im Auftrag des Bundesumweltministeriums (BMUKN) berät das Zentrum deshalb seit 2021 Kommunen bei Themen wie der strategischen Klima-Anpassung, der entsprechenden Finanzierung, Förderung oder bei der Planung und dem Bau. Allein in diesem Jahr gab es – Stand Anfang Juli – bereits 535 Beratungen, ähnlich hoch wie in den Vorjahren. Vor allem die Teilnehmerzahlen bei Webinaren sind in der Vergangenheit jedoch stark angestiegen. Waren es anfangs noch 50 Teilnehmer, sind es inzwischen oft 150.
Geht es nach Svenja Binz vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, darf es aber nicht nur bei Beratung bleiben. Für die Architektin ist klar, Städte müssen langfristiger beim Bauen planen und nicht allein auf kurzfristige Lösungen gegen hohe Temperaturen setzen. „Klassische Klimaanlagen sind der letzte Ausweg, um sich an Hitze anzupassen“, sagt sie. Auch, weil damit viel Energie verbraucht wird. „Stattdessen“, argumentiert Binz, „sollten eher die Bauweisen hitzeangepasster werden durch außenliegende Verschattung oder Begrünung“. Zum Beispiel habe ein Baum eine Kühlwirkung wie zehn Klimaanlagen.
Das Problem ist bislang: Oft wird Klimaanpassung beim Bau erst am Ende berücksichtigt. „Hitzeschutz kommt oft erst in der Ausführungsplanung – und damit viel zu spät, weil die wichtigen Entscheidungen am Anfang eines Planungsprozesses getroffen werden“, kritisiert Binz. Darunter fällt zum Beispiel die Bauweise, die bereits in den frühen Phasen des Baus festgelegt wird. Bestehen tragende Wände oder Decken aus Beton, können sie Wärme speichern und diese langsam wieder abgeben. Sie wirken hitzemildernd.
Wichtig ist laut der Architektin aber nicht nur auf Neubauten zu achten, sondern auch auf bestehende Gebäude, bei denen beim Thema Hitze nachgebessert werden muss. Sie sagt: „Gebäude, die heute den Mindeststandard beim Hitzeschutz erfüllen, funktionieren im Jahr 2045 nicht mehr, wenn der Klimawandel weiter wie bisher voranschreitet.“
Gerade bei öffentlichen Einrichtungen wie Pflegeheimen oder Schulen sind Investitionen daher von großer Bedeutung, glaubt auch Fischer-Hotzel: „Schulen sind oft alt und marode. Die meisten Schulhöfe sind hoch versiegelt. Solange der Sanierungsstau anhält, bleiben solche Gebäude Hitzefallen – das ist kein neues Problem.“ Helfen könnten hier Gelder aus dem kürzlich eingerichteten Sondervermögen der Bundesregierung für Infrastruktur.
Was aber, wenn die Gelder nicht ausreichen und Investitionen in die Klimaanpassung nicht weiter zunehmen? „Es klingt nach Katastrophenstimmung, aber wenn wir nichts tun, werden wir immer verletzlicher und die Kosten steigen“, sagt Fischer-Hotzel.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit „Business Insider Deutschland“
Joana Lehner berichtet als Wirtschaftsredakteurin für WELT, Business Insider und Politico über Energie-Themen.
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