Motoren für Haubitzen - statt für Züge
In der deutschen Wirtschaft prallen gerade Industriekrise und Rüstungsboom aufeinander. Einige Firmen, die mit Militär bisher wenig zu tun hatten, sehen darin eine Chance und bauen zum Beispiel Motoren für Haubitzen statt für Züge.
Kurz nachdem Sebastian C. Schulte seinen neuen Posten angetreten hatte, holte ihn die Weltpolitik ein. Am 13. Februar 2022 wurde er Vorstandsvorsitzender des Motorenbauers Deutz AG in Köln. Gerade mal elf Tage später griff Russland die Ukraine an. "Seitdem hat sich natürlich die Welt geändert", sagt Schulte heute.
Was zu seinem Amtsantritt noch undenkbar schien, ist nun Realität. Die NATO-Staaten haben sich darauf geeinigt, 3,5 Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Schulte sieht die Zeitenwende als Chance für sein Unternehmen, der Verteidigungsbereich biete eine attraktive Geschäftsperspektive.
Motor muss mit anderem Kraftstoff klarkommen
Die Deutz AG gilt als ältester Motorenbauer der Welt; seit mehr als 160 Jahren werden hier Motoren hergestellt. Diese landen normalerweise in Traktoren, Mähdreschern oder Baumaschinen. Im Verteidigungsbereich ist das Unternehmen zwar schon seit Jahrzehnten tätig, allerdings in geringem Umfang. Rüstungsgüter machen noch immer weniger als zwei Prozent des Unternehmensumsatzes aus. Vorstandschef Schulte will diesen Anteil in den kommenden Jahren auf fünf bis zehn Prozent erhöhen.
Dafür müssen die Motoren technisch angepasst werden. Ein Unterschied sei, dass sie für die militärische Nutzung kerosintauglich sein müssen, erklärt Alexander Haas, Entwicklungsingenieur bei Deutz. "Die Kraftstoffqualität ist da in der Regel schlechter", sagt Haas. Der Motor müsse also so verändert werden, dass er auch mit Kerosin zurechtkomme.
Mit seinem Team arbeitet Haas gerade daran, ein Motorenmodell, das sonst in Zügen verbaut ist, so umzugestalten, dass es in Haubitzen bestehen kann. "Die Motoren müssen eine höhere Temperaturbeständigkeit haben, sie müssen robuster sein", sagt Haas. Für ihn als Ingenieur sei das eine Herausforderung, die Spaß mache.
"Werden wir jetzt 'ne Waffenschmiede?"
Doch nicht alle der weltweit mehr als 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren begeistert, als Unternehmenschef Schulte den Kurs Richtung mehr Rüstung eingeschlagen hat. "Werden wir jetzt 'ne Waffenschmiede?", hätten einige Mitarbeiter gefragt, erzählt Schulte. Inzwischen aber sei die anfängliche Skepsis verflogen.
Das hängt wohl auch damit zusammen, dass das Rüstungsgeschäft Arbeitsplätze sichert. Für Deutz war das vergangene Jahr nicht einfach, das Geschäft mit Baumaschinen hängt stark von der weltweiten Konjunktur ab. Die Rüstungsbranche verspricht hingegen langfristige Aufträge. "Wir gehen jetzt nicht aus Verzweiflung in dieses Feld, weil wir sonst keine Zukunft haben", betont Schulte. Der Rüstungsbereich sei aber ein zusätzliches Geschäftsfeld, durch das sich das Unternehmen breiter aufstellen könne.
Getriebe und Bremsen auch für Militärfahrzeuge
Damit steht die Deutz AG nicht allein. Weil die deutsche Autobranche schwächelt, schauen sich viele Zulieferer im Land nach neuen Auftraggebern um. Der Branchenriese ZF verzeichnet nach eigenen Angaben eine höhere Nachfrage nach Verteidigungstechnik.
"Wir planen einen Ausbau unserer Aktivitäten", so ein Unternehmenssprecher. "Neben Getrieben werden beispielsweise auch Nutzfahrzeugbremsen für die militärische Nutzung angepasst." Bisher habe Verteidigungstechnik einen Anteil von weniger als einem halben Prozent am Gesamtumsatz des Konzerns. Eine Prognose zum Wachstum in diesem Bereich könne man nicht geben, so ZF.
Gesamtwirtschaftlicher Nutzen offenbar begrenzt
Klaus-Heiner Röhl vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft hält das gesamtwirtschaftliche Potenzial des Rüstungsbooms für begrenzt, auch wenn die Verteidigungsausgaben in Deutschland gerade stark steigen. "Die Autoindustrie ist etwa zehn Mal so groß wie die Rüstungsindustrie", sagt Röhl. Den Auftragsrückgang im Automobilbereich könne der Rüstungsboom deshalb nicht vollständig ausgleichen.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen Wirtschaftswissenschaftler der Universität Mannheim, die in einer Studie die ökonomischen Folgen von Rüstungsausgaben untersucht haben. Der gesamtwirtschaftliche Nutzen sei deutlich geringer als bei staatlichen Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder Kinderbetreuung, so das Ergebnis.
Für einzelne Unternehmen kann sich das Geschäft mit Verteidigungsgütern aber sehr wohl lohnen. Die Rüstungsbranche sei eine Nische, sagt Deutz-Chef Schulte. Für sein Unternehmen könnte sie eine durchaus lukrative sein.
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