Deutschlands Seehäfen vermissen ein Signal des Aufbruchs
Symbolträchtig kündigte die neue schwarz-rote Bundesregierung kürzlich an, der maritimen Wirtschaft 400 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, verteilt auf vier Jahre mit je 100 Millionen Euro. Das Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds entfällt auf Seehäfen, Binnenhäfen und Schifffahrtsunternehmen. Aus Sicht der Seehafenbranche ist dieser Schritt aber weit davon entfernt, die finanziellen Probleme der Häfen bei der Erneuerung der Infrastruktur zu lindern.
Die deutschen Hafenstandorte brauchen insgesamt jährlich 500 Millionen Euro anstelle der heutzutage 38 Millionen Euro, mit denen der Bund die Seehäfen unterstützt. So kalkuliert es der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS). Der Investitionsstau bei Kaimauern, Schleusenanlagen, Schwerlastflächen und anderen Teilen der Hafenanlagen umfasse insgesamt rund 15 Milliarden Euro.
Von den bisherigen Weichenstellungen der schwarz-roten Koalition ist der ZDS nach der 100-Tages-Frist enttäuscht – auch deshalb, weil die Häfen nicht nur für den Außenhandel, sondern auch für die Energieversorgung und für die militärische Sicherheit in einer politisch wieder zunehmend volatilen Weltlage eine Schlüsselrolle spielen.
„Wir erwarten von der Bundesregierung im Herbst eine klare Offensive für mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine strukturelle Stärkung der Industrie“, sagt Florian Keisinger, Hauptgeschäftsführer des ZDS. „Das geht nur mit starken Häfen – Grundpfeiler einer leistungsfähigen Wirtschaft. Ohne sie sind strategische Projekte wie Zeiten- und Energiewende nicht zu stemmen. Wettbewerbsfähigkeit und äußere Sicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille.“
Ein Konfliktthema, um das die Hafenbranche seit Jahren mit dem Bund ringt, ist die Reform der Einfuhrumsatzsteuer. In den wichtigsten deutschen Konkurrenzhäfen Antwerpen und Rotterdam können die Importunternehmen – vereinfacht gesagt – diese Steuer digital so mit den Steuerzahlungen ihrer Kunden verrechnen, dass dabei kein Kapital der Importeure gebunden wird. In den deutschen Häfen müssen die Importeure die Steuer tatsächlich zahlen – aus Sicht der Hafenwirtschaft ein erheblicher Nachteil im Wettbewerb.
„2024 zog der Zoll rund 75 Milliarden Euro Einfuhrumsatzsteuer ein – Kapital, das den Unternehmen vorzeitig für Investitionen entzogen wurde. Das entspricht acht Prozent der gesamten Steuereinnahmen“, sagt Keisinger. „Gerade mittelständische Importeure geraten dadurch unter Druck. Hier liegt eine greifbare Chance, die Wirtschaft konkret zu stärken. Deutschland muss diese Möglichkeit jetzt nutzen und das Verrechnungsmodell sofort einführen.“
Die Modernisierung der Stromsteuer ist ein weiterer Punkt, den die Hafenwirtschaft kritisch sieht. „Bisher profitieren nur produzierendes Gewerbe sowie Land- und Forstwirtschaft von Entlastungen – Seehafenbetriebe bleiben außen vor“, heißt es beim ZDS. Das sei so nicht nachvollziehbar. „Wenn nun eine gesetzliche Absenkung auf den EU-Mindeststromsteuersatz von 0,05 Cent je Kilowattstunde stattfinden soll, müssen Seehafenbetriebe in künftigen Entlastungsregelungen gleichbehandelt werden.“
Der ZDS setzt den aktuell identifizierten Bedarf an öffentlichen Investitionen ins Verhältnis zu den finanziellen Grundlagen der neuen Bundesregierung. 15 Milliarden Euro seien „lediglich drei Prozent des Sondervermögens Infrastruktur. Das sind keine Wunschlisten, sondern belastbare Bedarfszahlen aus den Häfen selbst“, sagt Keisinger. „Wer wie Friedrich Merz die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zur Priorität erklärt, darf die Seehäfen nicht übersehen. Ohne starke Seehäfen keine starke Wirtschaft – und ohne starke Wirtschaft keine starke Sicherheitspolitik und keine erfolgreiche Zeiten- und Energiewende.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die maritime Wirtschaft – Häfen, Schifffahrt und Werften – zählt zu seinen Schwerpunktthemen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke