Union und SPD wollen die Rentenhöhe von derzeit 48 Prozent des Durchschnittseinkommens bis 2030 erhalten. Der Entwurf soll heute das Bundeskabinett passieren. Wie nachhaltig ist das?

Im schwarz-weiß karierten Sakko steht sie im Bundestag, lehnt sich immer wieder schwer auf das Rednerpult: Ulla Schmidt, Bundessozialministerin, quasi die Herrin über das deutsche Rentensystem. "Wir wollen, dass die jetzige junge Generation und auch die künftigen Generationen Spielräume haben", schleudert die SPD-Politikerin der Opposition entgegen. Immer wieder gibt es Zwischenrufe. Die Debatte teils hitzig, das Thema ernst.

Es geht um eine Rentenreform, damals, im März 2004. Die rot-grüne Bundesregierung will die Formel ändern, mit der berechnet wird, ob und wie die Renten steigen. Ein "Nachhaltigkeitsfaktor" soll eingeführt werden. Die Renten sollen langsamer steigen als die Löhne, solange immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Rentner zahlen müssen. So sinke zwar das Rentenniveau, aber es würden Rentner wie junge Arbeitnehmer ihren Anteil am demografischen Wandel gemeinsam tragen. Das Ziel: "Generationengerechtigkeit. Die Jüngeren dürfen nicht durch zu hohe Beiträge überfordert werden."

Ulla Schmidt (hier bei einer Bundestagssitzung im Oktober 2020) war 2001 bis zum 2009 Bundesministerin für Gesundheit und 2002 bis 2005 auch für Soziale Sicherung.

Das ist mehr als 20 Jahre her. Heute heißt die Bundessozialministerin Bärbel Bas. Sie ist auch von der SPD. In ihrer Rentenreform allerdings will Bas eine "Haltelinie" festschreiben. Das bedeutet: Dämpfer wie der Nachhaltigkeitsfaktor sollen nicht mehr greifen und das Rentenniveau bis 2031 nicht unter 48 Prozent sinken.

Rentenniveau und Nachhaltigkeitsfaktor Das Rentenniveau beschreibt die Höhe der Rente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren im Verhältnis zum aktuellen Durchschnittslohn. Aktuell liegt das Rentenniveau in Deutschland bei rund 48 Prozent und ist seit Jahren rückläufig.

Der Nachhaltigkeitsfaktor ist ein Element der Rentenformel, der die Auswirkungen des demografischen Wandels mit berücksichtigt. Steigt die Zahl der Rentner schneller als die Zahl der Beitragszahler, dämpft der Nachhaltigkeitsfaktor den Anstieg der Renten.

Gesetz soll Niveau bei 48 Prozent halten

Dass Rentenanpassungen "deutlich geringer ausfallen" als die Lohnentwicklung, das müsse verhindert werden, heißt es in dem Gesetzentwurf, der auch den Preis des Ganzen auflistet: 2029 sind es 4,1 Milliarden, 2030 dann 9,4 Milliarden, und 2031 werden es 11,2 Milliarden Euro sein. Aufkommen soll dafür der Steuerzahler. Ohne die Haltelinie läge das Rentenniveau 2031 bei 47 Prozent, mit Haltelinie nun bei 48 Prozent. Laut Sozialministerium fällt dann eine Rente von beispielsweise 1.500 Euro um etwa 35 Euro im Monat höher aus. Der Entwurf soll heute das Bundeskabinett passieren.

Viele Wissenschaftler sehen das geplante Gesetz kritisch. "Die Bundesregierung hat den Ernst der Lage offensichtlich immer noch nicht begriffen", sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Die geplanten Reformen würden die Nachhaltigkeit der Rentenversicherung nicht verbessern, sondern im Gegenteil verschlechtern und die Ausgaben drastisch erhöhen. "Dies belastet den Bundeshaushalt und erhöht die Lohnnebenkosten", so Grimm. "Diese Entwicklungen sind völlig kontraproduktiv in einer Zeit, in der Deutschland dringend Wachstum braucht." 

Experte: Es geht gerade in die falsche Richtung

"Mit Mütterrente und Haltelinie geht es leider gerade in die falsche Richtung", warnt auch Marcel Thum vom ifo-Institut. In einem Gutachten für die FDP-nahe Friedrich Naumann Stiftung hat er Reformvorschläge durchgerechnet. Es brauche Korrekturen im Rentensystem, so heißt es in dem Gutachten. Sonst würden "die Kosten der steigenden Lebenserwartung einseitig der jüngeren Generation aufgelastet" und die "Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verschlechtert".

Das Gutachten schlägt unter anderem vor, dass der Nachhaltigkeitsfaktor wiedereingeführt, womöglich sogar in seiner Wirkung verdoppelt werden müsse. Aus dem Sozialministerium kommt zu solchen Vorschlägen nur ein Kopfschütteln, weil das "zu einer Abkopplung der Renten von den Löhnen führen würde".  Das sei nicht das Ziel der Rentenpolitik der Bundesregierung.

Kritik von Linkspartei und AfD

In Wirtschaft und Wissenschaft ist die Haltelinie umstritten, im Bundestag kaum. Neben Union und SPD unterstützen sie auch die Grünen: "Andernfalls rutschen gerade Frauen und Menschen im Osten des Landes in die Grundsicherung und in Altersarmut", sagt Fraktionsvize Andreas Audretsch. "Das sät Wut und Unverständnis, das darf nicht passieren."  

Auch die rentenpolitische Sprecherin der Linken, Sarah Vollath, ist für eine Haltelinie. Aber: "Die Renten werden so niedrig bleiben, wie sie sind. Das geht uns nicht weit genug." Man müsse das Niveau weiter anheben, fordert Vollath.

Die AfD allerdings kritisiert den politischen Eingriff bei der Rentenhöhe: "Wir fordern, zu den Automatismen des Rentensystems vor Heil zurückzukehren", sagt die rentenpolitische Sprecherin der AfD, Ulrike Schielke-Ziesing.

Junge Abgeordnete: Alle Generationen im Blick behalten

Bundestag und Bundesrat werden in den kommenden Monaten das Vorhaben diskutieren und wohl auch beschließen. Zwar gibt es Gegenwind von Vertretern der jungen Generation, blockieren wollen sie die Haltelinie aber nicht, sondern fordern eine Gegenleistung: endlich strukturelle Reformen.

"Statt Rentengeschenke mit der Gießkanne zu verteilen, sollten wir alle Generationen im Blick haben", sagt Pascal Reddig, Chef der Jungen Gruppe der Unionsfraktion. Strukturelle Reformen seien immer wieder verschoben worden, damit müsse jetzt Schluss sein. Er setzt deshalb seine Hoffnung in die Rentenkommission, die der Koalitionsvertrag vorsieht und die bis Mitte der Legislatur Reformvorschläge vorlegen soll.

Teurer Faktor Mütterrente

Dann sind allerdings schon viele Fakten geschaffen: Nicht nur ist dann die Haltelinie bis 2031 festgeschrieben; zudem bekommen Mütter einen Rentenaufschlag von rund 20 Euro pro Monat für jedes vor 1992 geborene Kind. Das wird dem Staatshaushalt Kosten von etwa vier Milliarden Euro im Jahr bescheren. Beides sind Teile des Rentenpakets 2025.

"Auch Ausweitung der Mütterrente beschlossen", Jannik Pentz, ARD Berlin, über Tagung des Kabinetts zur Rente

tagesschau, 06.08.2025 12:00 Uhr

Mit dem Rentenpaket sei keine Abkehr von den Rentenreformen der 2000er-Jahre verbunden, schreibt das Sozialministerium auf Anfrage von tagesschau.de. Zwar habe man damals das Absinken des Rentenniveaus zugelassen, dafür aber private Altersvorsorge-Bausteine wie die Riesterrente eingeführt.

Da die Verbreitung der kapitalgedeckten Altersvorsorge in Deutschland aber bis heute noch nicht flächendeckend erreicht worden sei, sei für viele Menschen die gesetzliche Rente das einzige Einkommen, argumentiert das Sozialministerium. Deswegen müsse man das Rentenniveau stabil halten.

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