„Wer heute einen ausländischen Facharbeiter einstellen will, braucht starke Nerven“
Bald schon dürfte Deutschland eine Bundesbehörde mehr haben. „Es muss für Fachkräfte aus dem Ausland einfacher werden, in Deutschland zu arbeiten“, forderte Arbeitsministerin Bärbel Bas unlängst. „Mit einer digitalen Fachkräfteagentur werden wir hier für mehr Tempo und weniger Bürokratie sorgen“, kündigte die Parteichefin der Sozialdemokraten an.
Der Gedanke dahinter: Durch eine Reform der Verwaltungsprozesse sollen in einer sogenannten Work-and-Stay-Agentur samt zentraler IT-Plattform die Verfahren zur Erwerbsmigration gebündelt werden. So steht es auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Es gehe darum, „bürokratische Hürden einzureißen“.
Die Wirtschaft, die auf neue Arbeitskräfte angewiesen ist, begrüßt das Vorhaben ausdrücklich. „Die geplante Agentur kann zum entscheidenden Beschäftigungsbeschleuniger werden“, heißt es bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Allerdings warnt der Verband vor einer Überbürokratisierung bei dem Vorhaben.
„Wer heute einen ausländischen Azubi oder Facharbeiter einstellen will, braucht vor allem eines: starke Nerven“, sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Der Weg durch das deutsche Zuwanderungssystem ist ein bürokratischer Hindernislauf – mit zu vielen unnötigen Behördengängen, analogen Formularen und endlosen Wartezeiten. Digital ist daran noch zu wenig.“ Teilweise würden sich die Informationen und Dokumentationsanforderungen trotz der gleichen anzuwendenden Rechtsgrundlagen sogar widersprechen.
In einem Positionspapier, das WELT vorliegt, fordert die BDA nun konkrete Schritte, die die Regierung beachten müsse. So soll beispielsweise die gesamte Verfahrenskette digitalisiert und zentrale Zuständigkeiten geschaffen werden. Nur so könne der Ablauf deutlich beschleunigt und vereinfacht werden. „Was wir brauchen, ist nicht noch mehr Klein-klein, sondern ein funktionierendes System mit klaren Zielen: weniger Papier, mehr Tempo, mehr künstliche Intelligenz“, sagt Dulger. Die KI könne beispielsweise auch für Übersetzungen in Gesprächen eingesetzt werden. „Entscheidend sind auch eine moderne IT-Plattform, die Arbeitgeber am Verfahren beteiligt, sowie die Verzahnung von Visum und Aufenthaltstitel.“
Wegen der überalternden Gesellschaft in Deutschland ist die Wirtschaft auf mehr Einwanderung angewiesen und pocht auf Vereinfachungen beim Zuzug. Tatsächlich wächst die Beschäftigung hierzulande seit zwei Jahren nur noch durch Ausländer. Weil aber die Erwerbsmigration aus wichtigen Einwanderungsländern – insbesondere aus Süd- und Osteuropa – langsam versiegt, ist die Bundesregierung fieberhaft auf der Suche nach Alternativen. Mit etlichen Staaten außerhalb der EU hat Deutschland bereits Abkommen geschlossen, denn wer keine Freizügigkeit genießt, braucht eine Aufenthaltsgenehmigung zu Arbeitszwecken.
Die BDA fordert nun, die Rolle der Arbeitgeber in den Verfahren zu stärken. Unternehmen oder Vermittler sollten grundsätzlich Anträge und Unterlagen im Namen der ausländischen Arbeitskräfte stellen können und Informationen zum Verfahren jederzeit einsehen können – bisher geht das nur mit Vollmacht, wenn überhaupt. Durch den besseren Datenaustausch sollen zudem bestehende Meldepflichten entfallen, etwa bei vorzeitiger Vertragskürzung.
Das „Grundgerüst“ für die neue Agentur muss dabei eine Tandemlösung von Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) und Bundesagentur für Arbeit (BA) sein, so der Vorschlag der Arbeitgeber. Verfahren für Visa, Aufenthaltstitel zur Ersteinreise und bei Verlängerungen sollten beim BfAA gebündelt werden. Die Arbeitsmarktzulassung bliebe wie bisher bei der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Zu einem ähnlichen Vorschlag kamen im letzten Jahr die Autoren einer Machbarkeitsstudie, die noch unter der Ampel-Regierung in Auftrag gegeben wurde. Denn das Problem, das viele Arbeitgeber, aber auch Migranten selbst belastet, ist, dass bisher sieben verschiedene Behörden an den Verfahren beteiligt sind – die Daten untereinander zum Teil nicht austauschen können. So entsteht unnötige Doppelarbeit für alle beteiligten Seiten, die Prozesse werden ausgebremst statt sie zu beschleunigen.
Eine gebündelte Struktur könnte laut Machbarkeitsstudie die Verfahren zur Erwerbsmigration durch digitale Vernetzung, Prozessoptimierung und Zentralisierung um bis zu 40 Prozent beschleunigen. „Zugleich muss klar definiert werden, welche Aufgaben nicht zum Zuständigkeitsbereich der neuen Agentur gehören“, fordert Dulger.
Die Hauptaufgabe der Bundesagentur, die von Andrea Nahles geführt wird, sei, Arbeitssuchende in Jobs zu vermitteln. Deshalb dürften Deutschlands größter Behörde – mit aktuell rund 113.000 Beschäftigten – nicht noch mehr neue Aufgaben übertragen werden, etwa die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen.
Wie sehr das Tempo eine Rolle spielt, zeigt eine Erhebung der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2023. Damals hatte man erfasst, wie lange es dauert, bis eine ausländische Fachkraft hierzulande tatsächlich einen Job antritt: Ab dem Moment, wenn die Person die Entscheidung trifft, sind es im Schnitt ein bis drei Jahre. Laut einer Studie der Industrieländerorganisation OECD bricht die Hälfte derjenigen, die in Deutschland arbeiten wollen, ihr Vorhaben jedoch irgendwann ab und sucht sich eine Alternative.
Für eine Volkswirtschaft, die in den kommenden Jahren immer mehr auf Zuzug angewiesen ist, ist das eine denkbar schlechte Ausgangslage. Pro Jahr müssten rund 400.000 ausländische Arbeitskräfte Jobs antreten, um die Renteneintritte auszugleichen und die Erwerbstätigkeit wenigstens stabil zu halten, haben Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vorgerechnet.
„Wenn wir es schaffen, jedes Jahr zusätzlich 200.000 Menschen aus dem Ausland in Arbeit zu bringen, entlastet das die öffentlichen Haushalte um geschätzt 104 Milliarden Euro jährlich“, sagt Arbeitgeberpräsident Dulger gegenüber WELT. „Klar ist aber: Zuwanderung in Beschäftigung kann notwendige Strukturreformen nicht ersetzen. Das größere Arbeitskräftepotenzial steckt nach wie vor im Inland – dieses gilt es zu aktivieren.“
Die Erwartungen an die Bundesregierung sind also klar: Es braucht mehr Tempo. Beim Webauftritt jedenfalls hat es damit schon einmal nicht geklappt. Die Domain „www.workandstayagentur.de“ scheint sich ein privater Anbieter gesichert zu haben. Immerhin: Die noch rudimentär gestaltete Homepage verlinkt auf einige Informationsangebote der Bundesregierung.
Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.
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