Der schleichende Tod der russischen Industrie
Der größte russische Lkw-Hersteller Kamaz wirft künftig nur noch an vier Tagen der Woche die Fließbänder an, weil die Nachfrage nach Lastwagen zuletzt um 60 Prozent zusammengebrochen ist. Kaum besser die Lage beim größten russischen Pkw-Hersteller Avtovaz, der ebenfalls die Vier-Tage-Woche einführen will. Beide machen vor allem die hohen Zinsen von 20 Prozent für ihre Misere verantwortlich: Kein Betrieb kann sich mehr die Leasing-Raten für einen Lastwagen leisten – und kein Bürger mehr die Ratenzahlungen für ein Auto stemmen. Es sei denn, man verdient sein Geld im Rüstungssektor, wo der Rubel mit wachsendem Tempo rollt.
Putins Superjet MC-21: kein einziges Exemplar produziert
Was man am deutlichsten bei Konzernen wie Kamaz und Avtovaz beobachten kann, breitet sich in der ganzen Industrie aus: Der Zivilsektor stirbt einen langsamen Tod. Beispiel Flugzeugbau: Trotz aller großen Ankündigungen produziert Russland bisher kein einziges Exemplar des neuen Superjets MC-21 – und nicht einmal ein einziges Exemplar der modernisierten TU-214. Das einzige, was noch die Hallen der Hersteller verlässt, sind Kampfjets. Und auch sie nur in sehr geringer Stückzahl, weil der Nachschub von Elektronikteilen über Schmuggelpfade und aus China nur langsam vorankommt. Weil Ersatzteile für Boeing- und Airbus-Flugzeuge fehlen, kannibalisieren die russischen Airlines ihren bestehenden Flugzeugpark, der deshalb um ein Viertel geschrumpft ist.

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Westliche Sanktionen haben die russische Industrie nicht zum Stillstand gebracht – aber wohl zu einem erheblichen Rückgang der Produktivität geführt, der Russland auf Jahrzehnte bremst. Einen Teil der Verluste gleichen die Chinesen aus, deren Exporte nach Russland geradezu explodieren. Doch die Importflut erweist sich immer mehr als zweischneidiges Schwert:
Niemand kauft einen Lada
Die chinesischen Industriewaren bringen die noch vorhandenen russischen Hersteller zusätzlich unter Druck, weil sie preislich und qualitativ nicht mithalten können. Auch dafür liefert die Autoindustrie ein gutes Beispiel: Niemand kauft in Russland einen heimischen Lada, wenn er sich einen chinesischen Geely leisten kann.
Aus der Sackgasse gibt es für Putin keinen Ausweg. Würde das Regime tatsächlich einem Waffenstillstand in der Ukraine zustimmen und seine Militärproduktion stoppen und auf das Vorkriegsniveau zurückführen, bricht die Volkswirtschaft zusammen. Läuft die Kriegsmaschinerie weiter wie bisher auf vollen Touren, geht der Niedergang der normalen Industrien unaufhaltsam weiter. Solange Putin mit Öl und Gas noch genügend Geld verdient, um Importe aller Art zu bezahlen, kann das Land weitermachen. Gelingt es dem Westen dagegen, die Rohstoffeinnahmen empfindlich zu treffen, bleibt Putin nur der Offenbarungseid.
In der deutschen Diskussion über einen Waffenstillstand in der Ukraine fehlt dieser ökonomische Hintergrund nur allzu oft. Nichts wäre für Putin gefährlicher als seine Kriegsmaschinerie abrupt anzuhalten. Sein politisches Überleben hängt an der fortlaufenden Erweiterung des Kriegs. Und die Opfer dabei – nicht nur in der Ukraine, sondern auch in seinem eigenen Land – scheren den Diktator kein bisschen.
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