Sieg oder Niederlage? Das bedeutet der Deal von Turnberry für Europa
Es schien der perfekte Ort für einen Deal zu sein: kein Konferenzsaal in Brüssel oder Washington, stattdessen ein Golfclub an der schottischen Küste. Auch die Zeit stimmte: Sonntag, früher Abend. Und der Kreis der Anwesenden blieb klein und exklusiv. US-Präsident Donald Trump war da, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, zudem ihr Mann für die Handelspolitik, Maroš Šefčovič. Persönlicher ging es kaum.
Seit April verhandeln Brüssel und Washington über Zölle, hinter der EU liegen mehr als 100 Tage Hoffen und Bangen. Immer wieder ließ Trump Gespräche platzen, verschob Fristen und drohte hohe Sätze an, zuletzt 30 Prozent auf fast alle Importe aus Europa. Am Wochenende nun, in Trumps Club Turnberry, fand all das vorerst ein Ende.
Ursula von der Leyen akzeptierte einen US-Zoll in Höhe von 15 Prozent auf einen Großteil europäischer Produkte. Unter diesen Satz sollen – eine gute Nachricht für Deutschland – auch Autos fallen. Im Gegenzug sagte die Präsidentin der Kommission zu, mehr amerikanische Rohstoffe und Waffen zu kaufen. Stahl und Aluminium sind nicht Teil des Deals und werden weiterhin mit 50 Prozent belegt. Für andere Produkte hingegen – etwa bestimmte Flugzeugteile, Chemikalien und Generika – sollen künftig keine Abgaben mehr fällig werden.
Trump spricht über Windräder und Wale
Trump empfing von der Leyen zu einer gemeinsamen Pressekonferenz im Ballsaal seines Clubs, begrüßte sie als „Präsidentin der Europäischen Union“. Die beiden nahmen vor einem großen Fenster Platz, im Hintergrund sah man Golfspieler mit ihren Taschen und Wagen.
Trump sprach über alles Mögliche, etwa Windräder („treiben Wale in den Wahnsinn und lassen sie an den Küsten stranden“), Zuwanderung („Europa hat ein riesiges Problem“) und seinen eigenen Club („der beste der Welt“). Von der Leyen hörte mit versteinerter Miene zu.
Vor drei Wochen stand man schon einmal kurz vor einem Deal. Im Gespräch war damals ein pauschaler amerikanischer Zoll in Höhe von zehn Prozent. Die Kommission – zuständig für Europas Handelspolitik – hätte damit leben können, wie man in Brüssel hört. Aber Trump änderte offenbar plötzlich seine Meinung und drohte in einem wenig diplomatisch formulierten Brief 30 Prozent an. Zudem verschob er die Deadline für Verhandlungen vom 9. Juli auf den 1. August.
Die meisten Gespräche der vergangenen Monate fanden in Washington statt, immer wieder flogen Beamte der Kommission über den Atlantik, Trumps Team hingegen ließ sich kaum in Europa blicken. Manche in Brüssel sehen darin ein Symbol für das Verhältnis der beiden Parteien: hier die vorsichtige, zögerliche EU, dort der unberechenbare Rüpel.
Vor dem Treffen mit Ursula von der Leyen am Sonntag spielte Trump eine Runde Golf, er trug eine schwarze Jacke und eine weiße USA-Kappe. Reportern am Rand des Platzes rief er zu: Die Chancen auf einen Deal mit der EU stünden „Fifty-fifty“, also bei 50 Prozent. Am Ende ging alles gut aus, viele erwarteten das auch so, denn ein Scheitern der Verhandlungen hätte einen Handelskrieg zwischen Europa und Amerika auslösen können, eine dramatische Spirale aus Zöllen und Gegen-Zöllen.
Es ist nicht der einzige Deal, den Trump diese Woche abschloss. Er einigte sich auch mit Japan. Importe aus dem Land sollen künftig mit einem Zoll in Höhe von 15 Prozent belegt werden. Für diesen – wenigstens im Vergleich zu vielen anderen Staaten – niedrigen Satz zahlt die Regierung in Tokio einen hohen Preis: Sie soll 550 Milliarden Dollar in den USA investieren, 100 Flugzeuge von Boeing kaufen und mehr amerikanischen Reis einführen.
Warum verstrickt Trump Nationen rund um den Globus in solche Konflikte? Zum einen will er mit den Zöllen daheim Steuersenkungen finanzieren und Unternehmen dazu bringen, ihre Produktion in die USA zu verlegen. Zum anderen ist er mit der Handelsbilanz seines Landes unzufrieden. Gegenüber den EU-Staaten betrug das Defizit im vergangenen Jahr 236 Milliarden Dollar. Amerika importierte Waren im Wert von 606 Milliarden Dollar aus Europa. Die Exporte dorthin beliefen sich aber nur auf 370 Milliarden Dollar. Trump findet das unfair.
15 Prozent – Sieg oder Niederlage für die EU?
Ist ein pauschaler amerikanischer Zoll in Höhe von 15 Prozent, wie er nun vereinbart wurde, ein Sieg oder eine Niederlage für die EU?
Im Vergleich zu den angedrohten 30 Prozent – ein Satz, der nach Ansicht der EU-Kommission zum Kollaps des transatlantischen Handels geführt hätte – klingen 15 Prozent gut. Auch Unternehmen und Anleger dürften aufatmen, wichtiger als der genaue Wert dürfte vielen das Ende der Unsicherheit sein.
Betrachtet man hingegen die Höhe der amerikanischen Zölle auf Produkte aus der EU in der Zeit vor Trumps zweiter Präsidentschaft, dann wirkt der Deal von Turnberry schlecht: Zwischen 2000 und 2024 lag der durchschnittliche Satz bei ungefähr zwei Prozent. 15 Prozent bedeuten also eine dramatische Steigerung. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat berechnet: Ein solcher Zoll würde Deutschland jährlich 0,13 Prozentpunkte Wachstum kosten. Besonders heikel ist der neue Wert für Autos – unter Präsident Joe Biden hatten nur 2,5 Prozent gegolten. Das ist die Schattenseite des Abkommens.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) betonte dennoch, dass es noch schlimmer hätte kommen können: „Mit der Einigung ist es gelungen, einen Handelskonflikt abzuwenden, der die exportorientierte deutsche Wirtschaft hart getroffen hätte“, ließ sich der Kanzler zitieren. „Dies gilt besonders für die Automobilwirtschaft, bei der die gegenwärtigen Zölle von 27,5 Prozent auf 15 Prozent fast halbiert werden. Gerade hier ist die schnelle Zollsenkung von größter Bedeutung.“
„Schmerzhafter Kompromiss“
„Es ist gut, dass es durch dieses Abkommen zumindest etwas Planbarkeit für die deutsche und europäische Industrie gibt“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary. „15 Prozent Zoll werden den europäischen Anbietern nicht das Genick brechen, sie verteuern jedoch europäische Produkte in den Vereinigten Staaten.“ Damit treffe Trump vor allem seine eigenen Wähler.
Aus der Wirtschaft hingegen kommen kritische Stimmen, der deutsche Außenhandelsverband etwa bezeichnet die Einigung mit den USA als „schmerzhaften Kompromiss“. Jedes Prozent Zoll sei ein Prozent zu viel, sagt Präsident Dirk Jandura. „Der Aufschlag bedeutet für viele unserer Händler eine existenzielle Bedrohung.“
Wie geht es nun weiter? Die 27 EU-Staaten müssen dem Abkommen zustimmen. Zudem dürften weitere Verhandlungen zwischen Brüssel und Washington über technische Details folgen. Dann aber wohl wieder in Konferenzsälen, nicht auf Golfplätzen.
Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU.
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