„Historisches Minus“ – das deutsche Bier-Fiasko
Deutschland ist nicht mehr Europameister im Bierbrauen. Russland hat sich 2024 an die kontinentale Spitze gesetzt. Das zeigt der aktuelle BarthHaas-Bericht zur Weltbierproduktion, den der weltgrößte Hopfenhändler aus Nürnberg jedes Jahr veröffentlicht. Während hierzulande nur noch 83,93 Millionen Hektoliter gebraut wurden und damit 1,4 Prozent weniger als im Vorjahr, gab es in Russland ein deutliches Plus von fast neun Prozent auf 90,83 Millionen Hektoliter. Damit verdrängen die russischen Brauer ihre deutschen Konkurrenten auch aus den Top-5 der weltweit größten Biernationen. Hinter China, den USA, Brasilien, Mexiko und eben Russland liegt die Bundesrepublik jetzt nur noch auf Platz sechs.
Grund für die Verschiebung ist nicht zuletzt der Ukraine-Krieg. Denn aufgrund von Sanktionen wurde deutlich weniger Bier nach Russland exportiert und daraus folgend die dortige Inlandsproduktion entsprechend angeschoben, wie BarthHaas-Geschäftsführer Thomas Raiser im WELT-Gespräch beschreibt. Zugleich haben sich große Braukonzerne aus dem Land verabschiedet und Beteiligungen abgegeben.
Mit Baltika und OPH Vereinigte Brauereien stehen daher 2024 auch erstmals seit Jahren wieder zwei russische Bier-Hersteller in der von BarthHaas erhobenen Liste der 40 größten Brauereien der Welt. Baltika etwa, mit Rang zwölf weit vor den größten deutschen Anbietern postiert, war lange Zeit Teil des dänischen Branchenriesen Carlsberg, ist mittlerweile aber verstaatlicht. OPH wiederum, einst eine Beteiligung des weltweit zweitgrößten Braukonzerns Heineken, wird auf Platz 24 geführt, kurz hinter Deutschlands Marktführer Radeberger Gruppe.
Was den russischen Markt für die Großkonzerne attraktiv gemacht hat, ist der steigende Konsum. „In Russland hat sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine starke Bierindustrie aufgebaut“, berichtet Raiser. Das Land sei also nicht erst im letzten Jahr aufs Bier gekommen. Wachstum gebe es dort schon seit den 1990er-Jahren.
Anders in Deutschland. Seit Jahrzehnten schon ist der Bierkonsum hierzulande rückläufig. Gründe sind unter anderem die demographische Entwicklung, veränderte Konsumgewohnheiten, der Wettbewerb durch immer mehr andere Getränke, aber auch eine sinkende Kaufkraft in den wirtschaftlich anhaltend schwierigen Zeiten.
2025 droht daher zum schwächsten Bier-Jahr überhaupt zu werden in Deutschland. Von Januar bis Mai ist die Nachfrage bereits um fast sieben Prozent eingebrochen auf 34,1 Millionen Hektoliter. Das ist der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung.
Volker Kuhl, der Geschäftsführer der Großbrauerei Veltins, spricht daher von einem „historischen Minus“ und von einem „Kampf für viele Brauereien“. Denn aufzuholen seien die Verluste nicht mehr im weiteren Jahresverlauf. Kuhl rechnet daher mit einer Konsolidierung. „Bei einem Marktminus, wie wir es aktuell haben, und zugleich zunehmenden Kosten, wird es Brauereien geben, die das nicht überleben“, prognostiziert der Experte sichtbare strukturelle Veränderungen. „Wir werden zwangsläufig sehen, dass Brauereien aufgeben oder verkauft werden.“
Das befürchtet auch BarthHaas-Chef Raiser, dessen Unternehmen die große Mehrzahl der Brauereien hierzulande mit Hopfen versorgt, was ihm einen tiefen Einblick in die aktuelle Lage der Branche verschafft. „Die nachgefragte Menge und auch die Mengen, die wir dann tatsächlich ausliefern, sinken spürbar“, berichtet der Experte.
Viele Betriebe würden weniger Hopfen abnehmen als vorher bestellt und vertraglich festgelegt. „Wir wissen, dass mittelständische Brauereien unter einem enormen Druck stehen“, sagt Raiser und verweist auf den aggressiven Preiswettbewerb in Deutschland. „Es scheiden ja auch jährlich Brauereien aus dem Markt aus.“ Manche hätte noch das Glück, übernommen zu werden. Die Chancen auf einen Verkauf würden aber zunehmend sinken. „Ich glaube schon, dass es berechtigt ist, von einer weiteren Konsolidierung auszugehen in den nächsten Jahren.“
Deutschland ist wieder Hopfen-Weltmeister
Aktuellstes Beispiel ist eine geplante Standortschließung bei Oettinger. Der Billigbrauer, dessen Ausstoß im vergangenen Jahr um stattliche zwölf Prozent eingebrochen ist, kämpft mit Überkapazitäten und will deswegen seine Produktion in Braunschweig schließen. Nur noch Teile der Logistik und der Materialwirtschaft sollen dort verbleiben. Betroffen sind rund 150 Mitarbeiter.
Bei Oettinger sei der Absatz mittlerweile auf das Niveau von vor über 20 Jahren gesunken, begründet Brauereichef Stefan Blaschak die Entscheidung. „Ein Abbau unserer hauseigenen Überkapazitäten ist unvermeidlich.“ Dass es Braunschweig treffe, liege auch am Alter der Anlagen dort. „Die sind älter als an anderen Standorten und hätten zeitnah einer umfassenden Generalüberholung bedurft“, sagt Blaschak. Vor drei Jahren hatte sich Oettinger bereits vom Standort Gotha in Thüringen getrennt. Übrig bleiben jetzt noch Oettingen und Mönchengladbach.
Aber auch in den Wochen davor gab es bereits regelmäßige Meldungen von Betriebsaufgaben und Insolvenzen kleinerer Brauereien – eine Entwicklung, die auch Auswirkungen auf die Hopfenbranche hat, deren Produkt für die bittere Note im Bier sorgt. So sinkt hierzulande schon seit Jahren die Zahl der Anbaubetriebe, zuletzt sogar auf unter 1000. Laut dem Verband Deutscher Hopfenpflanzer ist das ein historischer Tiefststand. Zum Vergleich: Vor 15 Jahren hab es laut BarthHaas noch 1435 Betriebe in den heimischen Anbaugebieten wie Hallertau, Tettnang oder Elbe-Saale.
Trotzdem war Deutschland 2024 erstmals seit neun Jahren wieder das größte Hopfenanbauland der Welt. Dass der langjährige Spitzenreiter USA überholt werden konnte, liegt an der umfangreichen Stilllegung von Flächen in Amerika. Auf 18.513 Hektar wurde dort Hopfen angebaut, ein Minus von fast 20 Prozent. Grund ist vor allem die Krise beim Craftbeer, für das viel und vor allem besonderer Hopfen gebraucht wird, auf den sich viele Pflanzer in den USA spezialisiert hatten.
In Deutschland dagegen wird hauptsächlich die Hopfen-Sorte Herkules angebaut, die für das klassische Pils und für die zunehmend beliebten milden Biersorten Helles und Lager genutzt wird. „Das spielt den Betrieben derzeit noch in die Karten“, sagt Vermarkter Raiser, dessen Firma Hopfen von Bayern aus in über 100 Länder verkauft.
Gleichwohl gibt es angesichts der immer größer werden Krise bei den Brauereien eine strategische Überversorgung. Und das nicht erst bei der Ernte 2024. BarthHaas rechnet daher schon bald auch in Deutschland, das rund 75 Prozent seines Hopfens exportiert, mit einem deutlichen Flächenrückgang. Denn zum einen würden mit der Ernte 2025 viele Abnahmeverträge auslaufen, zum anderen seien die Preise unter Druck. Auf dem Spotmarkt zum Beispiel ist Hopfen mittlerweile über 50 Prozent billiger geworden.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.
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