Die Vorzeichen für die Halbjahresbilanz der Chemie- und Pharmaindustrie waren düster. Bereits am vergangenen Freitag hatten die Chemiekonzerne BASF und Covestro ihre Aktionäre und Mitarbeiter mit einer Gewinnwarnung geschockt. Durchwachsen fielen auch die Branchenzahlen aus, die Markus Steilemann, Präsident des Verbands der chemischen Industrie (VCI), am Donnerstag präsentierte.

„Im Gesamtjahresvergleich der Produktion steht ein Minus von einem Prozent“, fasste Steilemann die Lage der Chemie- und Pharmabranche zusammen. Besonders die Chemie bereitet Sorgen. Denn im ersten Halbjahr 2025 ging der Branchenumsatz in der Chemie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um zwei Prozent zurück. Die Produktion ging in dem Zeitraum sogar um drei Prozent zurück.

Für den Bereich Pharma sieht es besser aus. Sie verzeichnete bei der Produktion gegenüber dem vorangegangenen Halbjahr ein Plus von zwei Prozent, beim Umsatz legte der Bereich sogar um 5 Prozent zu. „In diesen Zeiten ist das bereits ein Erfolg“, so Steilemann.

Die Chemiebranche gilt nicht umsonst als Schlüsselbereich der deutschen Industrie. Rund 480.000 Menschen beschäftigen die Chemieunternehmen hierzulande. Und sie ist so etwas wie der Seismograf der gesamten nachgelagerten Industrie. Die am Donnerstag präsentierten Zahlen des VCI weisen deshalb über die Branche hinaus – und zeigen, worauf die deutsche Industrie sich in den kommenden Monaten einstellen muss.

Doch auch beim Ausblick auf das restliche Jahr konnte Steilemann mit keinen guten Nachrichten aufwarten. „Das größte Problem bleibt der Auftragsmangel“, sagte der VCI-Präsident. So würden knapp 40 Prozent der Unternehmen aktuell von zu wenigen Bestellungen berichten. „Die Auslastung der Anlagen erreicht im Schnitt keine 80 Prozent“, so Steilemann. Die Folge: Auch für das restliche Jahr 2025 würde sich keine Kehrtwende abzeichnen. „Die Chemieproduktion wird sogar leicht zurückgehen“, prognostizierte Steilemann.

Besonders zu spüren könnten das die Beschäftigten der Chemieindustrie bekommen. Die Beschäftigtenzahlen der Branche seien zwar bislang stabil. Aber Steilemann hatte für die Chemiemitarbeiter schlechte Nachrichten im Gepäck: „Eine signifikante Anzahl von Unternehmen haben bereits Einschnitte angekündigt“, so der VCI-Präsident.

Zudem warnte Steilemann vor einem Teufelskreis aus Auftragsmangel, hohen Kosten und steigenden Importen, welche die Auslastung drücken und die Unternehmen aus dem Markt drängen würden. Steilemann sprach von einer „Abwärtsspirale, die sich immer schneller nach unten dreht“.

Analysten und Investoren hatten mit ähnlichen Prognosen gerechnet. Für Christopher Schaefer, Portfoliomanager bei Union Investment, kommen die Gewinnwarnungen von BASF und Covestro „nicht überraschend“. Schaefer hat auch eine Knallhart-Forderung an die Chemieunternehmen: „In Europa sind weitere Kapazitätsschließungen nötig, um den Verlust der Exportmärkte und die Effekte der Deindustrialisierung zu kompensieren“, sagte Schaefer gegenüber WELT.

Auch Arne Rautenberg, Leiter des Aktienfondsmanagements von Union Investment, war von den Gewinnwarnungen in der Chemiebranche nicht erstaunt. „Nach kurzzeitigen Kursverlusten nach der Gewinnwarnung stieg etwa die BASF-Aktie wieder ins Plus. Das zeigt, dass der Markt angesichts des schwierigen Umfelds einen geringeren Gewinn der Unternehmen bereits eingepreist hatte“, so Rautenberg.

Warten auf die Investitionsmilliarden

„Das letzte Quartal war geprägt von den US-Strafzöllen und der Androhung, dass diese weiter steigen könnten. In so einer Situation herrscht Unsicherheit und die Kunden der Chemiebranche stocken in so einer Situation ihre Lager nicht auf“, so Rautenberg. Wachstumsimpulse könnte es laut Rautenberg frühestens im vierten Quartal des Jahres geben. „Auf beiden Seiten des Atlantiks werden gerade Konjunkturprogramme gestartet. Wenn die Investitionsmilliarden in Deutschland und die US-Maßnahmen verfangen, sollte es auch mit der Chemie wieder aufwärtsgehen“, so Rautenberg.

Damit das passiert, wandte sich VCI-Präsident Steilemann mit konkreten Forderungen an die Bundesregierung. So machte Steilemann als „gefährlichstes Investitionshemmnis“ nicht geopolitischer Gegner aus, sondern die wuchernde Bürokratie in Deutschland. „146 Milliarden Euro verliert unsere Volkswirtschaft laut ifo-Institut jedes Jahr, weil Unternehmen sich durch ein Dickicht aus Regeln und Formularen kämpfen müssen“, sagte Steilemann. 88 Prozent der VCI-Mitglieder würden sagen, dass Bürokratie sie massiv bremst.

Zudem forderte Steilemann eine Modernisierung der Schuldenbremse. „Wir brauchen eine zeitgemäße Schuldenbremse. Und einen verfassungsrechtlich abgesicherten Vorrang für Investitionen“, so Steilemann. Auch an der Energiewende äußerste der VCI-Präsident Kritik. Er forderte die Entfristung der Stromsteuersenkung, einen Zuschuss zu den Stromnetzentgelten und die Abschaffung der Gasspeicherumlage. Diese Notpflaster sind laut Steilemann dringend notwendig.

Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit dem Schwerpunkt Gesundheit.

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