Gründet die EU eine WTO-Alternative?
Die WTO ist die mächtigste Handelsorganisation der Welt. Doch nicht erst seit Trump kriselt es gewaltig. Warum die EU nun die Augen auf ein anderes Bündnis richtet.
Es ist eine eher sperrige Abkürzung: CPTPP. Ausgeschrieben und wörtlich übersetzt heißt es nicht weniger umständlich: Vereinbarung für eine umfassende und fortschrittliche transpazifische Partnerschaft. Gemeint ist ein Handelsbündnis von derzeit zwölf Staaten - Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam. Das Vereinigte Königreich ist seit Ende 2024 mit dabei.
Doch vielleicht werden die EU-Bürgerinnen und -Bürger sich noch schneller als gedacht an die Abkürzung CPTPP gewöhnen. Denn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, an Alternativen zur Welthandelsorganisation (WTO) zu arbeiten und mit dem Handelszusammenschluss CPTPP rasch Kooperationsgespräche aufnehmen zu wollen. Von der Leyen ging sogar so weit, dass sie Reportern sagte: Die "strukturierte Zusammenarbeit" mit den zwölf CPTPP-Ländern könne "als ein Anfang für die Neugestaltung der WTO" betrachtet werden.
Ersatz für WTO?
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach sogar von einer "neuen Art von Handelsorganisation", die schrittweise ersetzen könne, "was wir mit der WTO heute nicht mehr haben". EU-Beamte beeilten sich danach klarzustellen, dass das Ziel sei, einige der Schwierigkeiten der Welthandelsorganisation zu überwinden, nicht aber, die WTO zu ersetzen.
Doch warum überhaupt eine WTO-Alternative? Auf dem Papier ist die Welthandelsorganisation die wichtigste Organisation zur Regelung des internationalen Handels. In ihr sind 166 Staaten vertreten, die fast 98 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts (BIP) auf sich vereinigen.
WTO in der Krise
Hauptaufgabe der WTO ist es, Regeln für diesen internationalen Handel aufzustellen. Zwei der zentralen Vereinbarungen der WTO-Mitglieder: Zölle dürfen nur in festgelegten Grenzen erhoben werden, staatliche Subventionen sind nur in Maßen erlaubt.
Die WTO setzt diese Handelsregeln auch durch. Dafür gibt es einen Streitbeilegungsmechanismus, der im Sinne der WTO-Regeln Konflikte zwischen Staaten klären soll.
Berufungsgremium lahmgelegt
Nur ausgerechnet diese für die WTO wichtige Streitbeilegung funktioniert nicht mehr - und das seit Jahren. "Die USA spielen eine zentrale Rolle bei der Blockade", sagt Claudia Schmucker, Leiterin des Zentrums für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Denn es werden seit 2019 keine Richterinnen oder Richter von den USA in das Berufungsgremium geschickt. Damit ist das wichtige Gremium, das juristische Streitfragen klärt, lahmgelegt.
Anders als oft geglaubt habe die Blockade schon lange vor dem neuen US-Präsidenten Donald Trump begonnen, sagt Schmucker. "Auch Barack Obama hat einzelne Nachbesetzungen im Berufungsgremium bereits verhindert."
Doch während die Streitbeilegung unter Obama in weiten Teilen noch funktionierte, geht seit Trumps erster Amtszeit nichts mehr. "Trump hat offen gesagt: Jetzt reicht es, wir blockieren jetzt die Streitschlichtung", sagt die Ökonomin Schmucker.
China sorgt schon länger für Ärger
Hintergrund der US-Blockade durch Trump ist insbesondere der Umgang der WTO mit China. Nach Ansicht von Beobachterinnen und Beobachtern bewegt sich das Land mit seinem Staatskapitalismus und massiven Subventionen mindestens im Graubereich, teils wohl auch außerhalb der WTO-Regeln. Doch Wettbewerbsverfahren dauern Jahre. Viele nahmen die WTO zuletzt auch als nicht stark genug wahr, China tatsächlich Grenzen zu setzen.
Für die EU ist diese Blockade ein ernsthaftes Problem: Denn die EU setzt bisher stark auf einen regelbasierten internationalen Handel. Und Probleme der WTO hin oder her, ohne das Berufungsgremium gibt es derzeit kein international anerkanntes Gremium, um Handelsstreitigkeiten zwischen Staaten beizulegen.
Drittel des Welthandels
Daher begrüßten viele Expertinnen und Experten die Ankündigung der EU, sich nun mit dem CPTPP einem neuen Handelsbündnis anzuschließen. Dafür sprechen zum einen ökonomische Gründe: "Es sind zwölf Staaten, deren BIP zusammengenommen fast genau so groß ist wie das der EU. Das ist ein substanzieller Markt, den man erschließen kann", sagt Holger Görg, Direktor der Forschungsgruppe Internationaler Handel und Investitionen am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) gegenüber tagesschau.de. Fast ein Drittel des weltweiten BIPs wäre durch das Zusammengehen der EU mit den anderen Staaten vereint, zeigen Daten der Weltbank.
Auch die Zusammensetzung des Bündnisses sei interessant, sagt Görg: Mit Mexiko und Kanada seien zwei Staaten aus Nordamerika vertreten - eine wichtige Handelsregion für die EU, sagt der Außenhandelsexperte: "Das Bündnis ist nicht nur auf eine Weltregion beschränkt, das ist ein großer Vorteil."
Vorangehen in Handelsfragen
Auf der anderen Seite betonen die verschiedenen von tagesschau.de befragten Handelsexperten aber noch einen weiteren Vorteil: Das neue Bündnis wäre zwar kleiner als die WTO, könnte dafür aber effektiver funktionieren. "Ich denke, die EU könnte mit dem Bündnis einiges erreichen. Gerade weil es eine Koalition der Willigen ist", sagt Jürgen Matthes, Leiter internationale Wirtschaftspolitik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).
Auch Schmucker von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht das ähnlich: "Auf globaler Ebene war in der WTO wegen dem Konsensprinzip zuletzt ein Vorankommen bei neuen fairen Handelsregeln kaum möglich. In einem regionaleren Bündnis wie dem CPTPP, das aus gleichgesinnten Staaten bestehe, ginge das wesentlich einfacher." Chancen auf neue Vereinbarungen, die über die bestehenden WTO-Regeln hinausgehen sieht sie vor allem bei den Themen nachhaltige Lieferketten, Clean Tech oder digitalem Handel.
Bisher hatte EU gezögert
Warum die EU angesichts so vieler Vorteile dann dennoch so lange gezögert hat, Nähe zum CPTPP zu suchen? Kurioserweise weil die USA in dem Bündnis eigentlich eine entscheidende Rolle spielen wollten. "Die USA haben damals unter Barack Obama einen Vorläufer, das Trans Pacific Partnership (TPP), federführend mit den pazifischen Staaten verhandelt und viele ihrer Forderungen mit hineingebracht. Zum Beispiel was Arbeitsrecht und Ursprungsregeln anbelangt", sagt IW-Forscher Matthes.
Seitdem hatte die EU nicht zuletzt auf diese anderen Standards verwiesen, wenn es um ihr Nichtmitmachen ging, erklärt Matthes. Er betont: "Es geht auch so, aber für europäische Unternehmen wäre es noch besser, wenn die EU mit ihrer Handelskraft, von immerhin rund 15 Prozent des weltweiten BIPs, beim Einstieg ins CPTPP an einigen Stellen neue Regeln aushandeln könnte, die ihrer sonst üblichen Blaupause ähnlicher sind."
Den Expertinnen und Experten ist zudem eines wichtig: Die EU sollte auf keinen Fall auf eine Abschaffung der WTO hinarbeiten. So sagt etwa Görg vom IfW Kiel: "Das CPTPP sollte komplementär sein zur WTO und einen Club der Willigen versammeln, die mit gemeinsamen Regeln vorangehen."
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