Einbruch bei Reichweite – der neuen Regierung fehlt es an Star-Influencern
Die Bundesregierung hat mit dem Abtritt der Ampel-Koalition viel Reichweite in sozialen Medien verloren. Zwar führen die Ministerien ihre offiziellen Seiten auf Instagram, X (Twitter) oder LinkedIn fort, doch die früheren Minister haben ihre Accounts teilweise aufgegeben oder führen sie unter eigener Regie weiter. Das kostet Reichweite, denn die Minister selbst hatten teilweise deutlich mehr Follower als die Ministeriums-Seiten.
Auf dauerpräsente „Regierungs-Influencer“ wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) oder Robert Habeck (Grüne) sind online weitgehend unauffällige Minister gefolgt. Bei der Reichweite kommen sie gegen ihre Vorgänger nicht an.
Besonders auffällig ist dieser Unterschied beim Auswärtigen Amt, dem Wirtschafts-, Finanz- und Gesundheitsministerium. Im Bundesfinanzministerium sind mit dem Auszug von Christian Lindner (FDP) viele Kontaktmöglichkeiten verloren gegangen. Auf X erreicht @c_lindner rund 780.000 Follower, das Ministerium dagegen nur 104.000. Auf LinkedIn steht es 332.000 zu 104.000. Und auch auf Instagram liegt Lindner persönlich weit vor seinem früheren Haus.
Sein Nachfolger Lars Klingbeil (SPD) kann ihm in Sachen Followerzahl auch nicht das Wasser reichen: Auf X hat er 159.000 Follower, auf Instagram 107.000. Dort kommt Lindner auf 431.000. Wie schon sein Vorgänger führt Klingbeil seine Social-Media-Auftritte nicht als offizielle Minister-Seiten. „Das BMF betreibt ausschließlich die offiziellen Social-Media-Kanäle des Ministeriums“, bestätigt eine Sprecherin. Man könne daher keine Aussagen zu persönlichen Kanälen machen. Dem Minister ermöglicht das nach seiner Amtszeit, die Seiten so wie sein Vorgänger selbst weiterzuführen, statt sie ruhen zu lassen.
Das hat Ex-Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) getan. Ihre beiden Accounts auf X sind als „Archiv“ markiert. Da passiert seit ihrem Ausscheiden nichts mehr. Den Nachrichten auf @ABaerbock folgten bisher 725.000 andere X-Nutzer, über @al_baerbock hatte die Politikerin 344.000 Follower.
Außenpolitische Botschaften finden seit dem Regierungswechsel sehr viel weniger Adressaten. Das Ministerium selbst kommt mit @auswaertigesamt zwar auf 907.000 Follower, Baerbocks Nachfolger Johann Wadephul hat es unter @AussenMinDE aber erst auf eine Reichweite von rund 23.000 gebracht. Immerhin ist der Minister aber auf Instagram sehr aktiv, wo seinem offiziellen Konto 123.000 folgen. Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) dagegen pflegt ihren persönlichen Instagram-Account mit großem Aufwand, hat dort aber nur rund 63.000 Follower.
Der Star der Bundesregierung in sozialen Medien ist aktuell Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Er hat auf Instagram den Account seines Amtsvorgängers Olaf Scholz (SPD) übernommen und deutlich Reichweite hinzubekommen. Den Fotos und Videos des Kanzlers folgen auf der Plattform rund 2,6 Millionen andere Nutzer. Damit schlägt er sogar Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (1,1 Millionen Follower auf X), der sein Amt auch seiner Popularität im digitalen Raum zu verdanken hatte. Als die Besetzung der Ministerposten zu Beginn der Ampel-Regierung anstand, hatten seine Fans im Netz erheblich Druck gemacht.
Gerade um Lauterbachs Dauerpräsenz hatte es immer wieder rechtlichen Wirbel gegeben – einigen ging die Vermischung privater und offizieller Äußerungen des Ministers zu weit. Amtsinhabern sei es unbenommen, sich auch privat zu äußern und so weiter am politischen Meinungsaustausch teilzunehmen, teilte das Gesundheitsministerium dazu schon vor Jahren mit. Allein durch die Nennung des Amtes werde der Account des Amtsinhabers nicht automatisch zu einem offiziellen Angebot des jeweiligen Ressorts – das habe auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Eine zweite Rechtsfrage zu den Social-Media-Seiten der Regierung wird in der kommenden Woche vor dem Verwaltungsgericht Köln verhandelt. Die Richter beraten über ein Verbot, das der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber gegenüber dem Bundespresseamt ausgesprochen hatte: Weil auf der Facebook-Fanpage der Bundesregierung – mit einer Million Followern – persönliche Daten der Nutzer verarbeitet werden, hatte Kelber 2023 die Abschaltung verlangt. Das Bundespresseamt will die Seite erhalten und hatte dagegen geklagt. Solange das Verfahren läuft, darf auch die Facebook-Präsenz weiter bestehen.
Social Media ist Pflicht für die Regierung
Dass die Bundesregierung auch soziale Medien nutzen muss, um mit den Bürgern zu kommunizieren, lässt sich aus der Verfassung und aus Urteilen der höchsten Gerichte ableiten. Das geht aus einem Gutachten des Bielefelder Verfassungsrechtlers Thomas Wischmeyer hervor. Es wurde im Auftrag von „Agora Digitale Transformation“ erstellt, einem „Thinktank“, den die Stiftung Mercator finanziert.
„Da die staatliche Pflicht zur Kommunikation im Kern den Zweck hat, eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung zu sichern, kann sie somit nicht auf tradierte Medientypen und Kommunikationsformen begrenzt werden, sondern muss sich am tatsächlichen Mediennutzungs- und Kommunikationsverhalten der Bevölkerung orientieren“, schreibt der Jurist.
Das bedeute unter heutigen Bedingungen, dass der Staat in seiner Öffentlichkeitsarbeit effektive Möglichkeiten zur digitalen Kommunikation nutzen und bereitstellen müsse. „Entsprechend dynamisch muss er auf veränderte Kommunikationserwartungen reagieren.“ Der Staat müsse dort kommunizieren, wo Öffentlichkeit ist.
Robert Habeck plant Größeres auf X
Wo die Öffentlichkeit ist – darüber gibt es in der Regierung offensichtlich unterschiedliche Auffassungen. Jedenfalls hat das Presse- und Informationsamt keine einheitliche Linie für alle Häuser. „Die Bundesregierung beobachtet fortlaufend die Entwicklung der Medienlandschaft und der sozialen Plattformen und überprüft ihre Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf mögliche Anpassungen, Einschränkungen oder Erweiterungen“, sagt ein Regierungssprecher. Soziale Medien seien gerade für jüngere Menschen „eine zentrale, teilweise ausschließliche Informationsquelle“. Im Detail hängt es vom jeweiligen Ministerium ab, ob und wo mit den Wählern kommuniziert wird.
Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beispielsweise hatte sich nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk von dessen Plattform X zurückgezogen – um einige Zeit später wieder zurückzukommen. Nun hat der Politiker, der noch Abgeordneter im Bundestag ist, auf X 131.000 Follower. „War jetzt länger Pause auf diesem Kanal. Und es wird auch noch ein bisschen dauern, bis es hier richtig weiter geht“, schrieb er zuletzt Anfang April. Stillgelegt ist der Account nicht – anders als @minister.habeck mit 590.000 Followern, der seit 4. Mai ruht.
Auch Habecks Nachfolgerin Katherina Reiche kann man in sozialen Medien bei der Arbeit folgen, allerdings nur auf offiziellen Kanälen des Ministeriums. Anders als ihr Vorgänger ist die CDU-Politikerin sehr zurückhaltend bei der Selbstdarstellung. Der größte Kanal des Wirtschaftsministeriums ist aktuell das Business-Netzwerk LinkedIn mit rund 227.000 Followern auf der offiziellen Seite. Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verzichtet weitgehend auf persönliche Digital-Auftritte – bis auf eine gelegentlich aktualisierte Facebook-Seite mit rund 12.000 Followern.
Die Netzwerke selbst sind spätestens seit den politischen Kapriolen von Elon Musk stark politisiert. Deswegen hatte sich das Bundesverteidigungsministerium am 15. Januar von X zurückgezogen, seinen Account aber nicht gelöscht. In der letzten Nachricht wird auf den WhatsApp-Kanal des Ministeriums verwiesen, dem knapp 36.000 Nutzer folgen. Darüber, wie der Austausch auf X lief und läuft, sei man unglücklich, „und deswegen haben wir uns zurückgezogen“, begründete ein Sprecher im Januar.
In anderen Ministerien ging der digitale Bedeutungsverlust mit dem Ministerwechsel einher. Auf den „Influencer“ Lauterbach folgte im Bundesgesundheitsministerium Nina Warken (CDU), die auf X nur knapp über 4000 Follower hat. Immerhin kann sie aber über den Instagram-Account des Ministeriums rund 563.000 Menschen erreichen.
Das sollte sie auch. Denn für Verfassungsrechtler Wischmeyer zählen digitale Medien zum Pflichtprogramm der Bundesregierung. Er leitet aus zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2002 zur Kommunikation des Staates ab, dass digitale Medien auch durch das Grundgesetz erfasst werden, wenn auch nicht genannt.
„Die staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation hat sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt und verändert sich unter den gegenwärtigen Bedingungen fortlaufend weiter“, zitiert er das Gericht. „Die gewachsene Rolle der Massenmedien, der Ausbau moderner Informations- und Kommunikationstechniken sowie die Entwicklung neuer Informationsdienste wirken sich auch auf die Art der Aufgabenerfüllung durch die Regierung aus.“ Aus Sicht des Juristen ist das ein dynamischer Prozess. Für die Nutzer der sozialen Medien auch.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
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