In England gibt es eine botanische Arche Noah
Zwanzig Meter unter dem Boden von Sussex öffnet Doktor Louise Colville in weisser Schutzkleidung eine dicke Stahltüre. Die Räume dahinter sind flut-, erdbeben- und bombensicher. Auf langen Tischen liegen Tüten, Säcke und Gläser.
Sie enthalten Samen in allen Variationen: bohnenförmige, glatte, stachlige, gefiederte. Menschen dagegen haben hier kaum Zutritt.
Gute Samen werden eingefroren
Selbst Pflanzen werden erst durchleuchtet, bevor sie eingelassen werden: «So lässt sich erkennen, welche Samenschalen im Inneren hohl sind und keinen Keimling enthalten. Auf diesen Röntgenaufnahmen hier sehen wir Samen einer Chinin-Pflanze. Einige davon wurden von Insekten befallen, die ihre Larven in den Samen abgelegt haben. Mithilfe dieser Aufnahmen können wir beurteilen, wie viele Samen einer Lieferung überhaupt keimfähig sind.»
Wer diese Prozedur übersteht und zu den Auserwählten gehört, die bleiben dürfen, wird anschliessend tiefgefroren. Die meisten auf minus 20 Grad Celsius. Einige sogar auf minus 180 Grad.
Samen sind ideal, um die Pflanzenvielfalt der Welt auf kleinem Raum aufzubewahren.
In diesem Zustand gelangen die Pflanzensamen in die gekühlten Katakomben von Wakehurst. Dort lagern auf Gestellen in Einmachgläsern 2.5 Milliarden Samen von 40'000 Wildpflanzenarten aus der ganzen Welt. Wohl nirgends auf diesem Planeten sei die Artenvielfalt so gross wie in diesen unterirdischen Korridoren, meint die Botanikerin.
«Samen sind ideal, um die Pflanzenvielfalt der Welt auf kleinem Raum aufzubewahren.» Samen reduzieren ihren Feuchtigkeitsgehalt im trockenen Zustand so weit, dass die biologischen Prozesse im Inneren auf ein Minimum verlangsamt werden. Der Verfall wird damit stark reduziert. Durch die Lagerung getrockneter Samen bei niedrigen Temperaturen kann ihre Lebensdauer zusätzlich verlängert werden. In einigen Fällen sogar auf mehrere Hundert Jahre.
Zwei von fünf Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht
«Bäume, Stauden und Sträucher können Sie schlecht in einem Keller verstauen. Wir tun das nicht einfach aus Freude am Sammeln.» Pflanzen seien die Grundlage jedes Ökosystems. Zwei von fünf Pflanzenarten auf diesem Planeten seien vom Aussterben bedroht. «Umso wichtiger ist, dass wir die Artenvielfalt bewahren.»
Die Ursachen für den Verlust der Pflanzenvielfalt sind zahlreich: Klimawandel, die Zerstörung von Lebensräumen, die Umweltverschmutzung und invasive Arten setzen der Flora weltweit zu. Dieser Rückgang gefährdet nicht nur die natürlichen Ökosysteme, sondern auch die menschliche Ernährungssicherheit. Viele Kulturpflanzen sind auf die genetische Vielfalt ihrer wilden Verwandten angewiesen, um Resistenzen gegen Krankheiten und Klimaveränderungen zu entwickeln.
Ähnlicher Saatguttresor in Norwegen
Auf Spitzbergen in Norwegen gibt es seit 2006 einen ähnlichen Saatguttresor für Nutzpflanzen wie Reis, Mais, Weizen oder Kartoffeln. Wakefield wurde vor 25 Jahren gebaut. Nicht nur als botanische Arche Noah, sondern ebenso als Forschungsstätte. In den Laboratorien wird das Erbgut der Pflanzen untersucht, und seltene Sorten können wieder ausgesät werden.

Beispielsweise seltene Bananensorten. Sie gehören in Grossbritannien zu den beliebtesten Früchten. Zwölf Kilo Bananen essen die Britinnen und Briten pro Jahr. Aber wie der Rest der Welt immer die gleiche Sorte. Monokulturen sind anfällig für Schädlinge und schränken die Artenvielfalt ein. Aus diesem Grund werden in Wakehurst Samen von 65 Bananensorten gelagert. Kleine, grosse, süsse, fade, gelbe oder orange.
Die Samen werden nicht nur gelagert und regelmässig überprüft, sondern eben auch erforscht. Insbesondere wird untersucht, wie man sie auch unter extremen Umweltbedingungen zum Keimen bringt.
Die einen haben es bei diesem Prozess gerne kalt, andere heiss, feucht und einige sogar salzig. Doch eine Nuss aus Botswana im südlichen Afrika entpuppte sich in den Treibhäusern von Wakehurst buchstäblich als Knacknuss. Weder Wasser noch Wärme hätten sie zum Keimen gebracht, erzählt Louise Colville. Erst nach einiger Zeit habe man realisiert, dass der Rauch eines Buschfeuers der Auslöser für die Keimung sei.
Ein «Back-up» für die Menschheit
Wakehurst ist eine Art übergrosse Botanisierbüchse. Ein «Back-up» für die Menschheit, für den Fall der Fälle, dass auf diesem Planeten alles schieflaufen sollte.
Egal ob Bananen, Chinin-Rinde oder Getreide: Ohne die Früchte, Fasern und Keime von Pflanzen würde die Menschheit ziemlich rasch mager aussehen. Die Pflanzen vor dem Aussterben zu bewahren, lohnt sich. Denn «nur Katzen haben sieben Leben», steht auf einem Plakat im Labor von Wakehurst.
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