Merz trifft der Stromschlag
Als wir vor gut drei Wochen in der Redaktion an der Zeile für das Cover unseres aktuellen Heftes feilten, gab es einige Diskussionen. Das Thema sollte die Energiepolitik der neuen Bundesregierung sein und ihre Zusage, Unternehmen und Verbraucher schnell bei den Strompreisen zu entlasten. Nach unserer Einschätzung war und ist das eines der wichtigsten, zugleich aber auch gewagtesten und teuersten Versprechen von Union und SPD im Koalitionsvertrag. Eines, das in den kommenden Jahren noch für viele Konflikte unter den Regierungspartnern sorgen wird – also eine klare Titelgeschichte für Capital. Gleichwohl wollten wir nicht zu martialisch klingen, schließlich wird auf der Welt schon genug gekämpft.
Aber wie beschreibt man einen Konflikt, der wenig Kompromisse zulässt und am Ende doch sehr hart ausgetragen wird? In dem es um viele Milliarden geht, um Subventionen, Steuern und Abgaben, vor allem aber auch um die Gesetze der Physik, die sich weder mit Argumenten überreden noch mit Deals bestechen lassen. So entschieden wir uns schließlich doch für die Zeile "Der Kampf um die Strompreise" – nicht ahnend, wie schnell uns die Realität bestätigen würde.
Das Gezerre um die Senkung der Stromsteuer für Unternehmen und Verbraucher, das wir in den vergangenen Tagen beobachten durften, ist auf gleich mehreren Ebenen überraschend und bedenklich. Überraschend, weil es zeigt, wie dünn auch in dieser Koalition das Fundament ist, auf dem sie arbeitet und das sie eigentlich noch fast vier Jahre tragen soll. Und bedenklich, weil die eigentlich kniffeligen Aufgaben in der Energiepolitik erst noch kommen. Wenn es aber jetzt schon so losgeht bei einer relativ einfachen Frage, die sich recht leicht finanziell mit ja oder nein beantworten lässt (und nur so), was soll dann erst werden, wenn es um wirklich schwierige Fragen geht?
5 Milliarden Euro fehlten im Haushalt
Zugesagt war die Senkung der Stromsteuer für alle Verbraucher – Unternehmen wie private Haushalte – erst im April mit der Vorlage des Koalitionsvertrages. Also vor gerade mal zehn Wochen. Zwar standen alle Vorhaben bekanntlich unter der Bedingung, dass die Regierung genug Geld dafür im Haushalt findet – aber dieser Vorbehalt wurde von allen Beteiligten eher auf die mittelfristigen und offenkundig kontroverseren Pläne bezogen wie etwa die sogenannte Mütterrente, nicht jedoch auf unmittelbar anstehende und unstrittige Dinge wie die Entlastung der Stromverbraucher.

Energiepolitik Der Kampf um die Strompreise
capitalInsofern war schon der erste Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 vor zwei Wochen eine mächtige Überraschung, da die versprochene Steuersenkung für alle darin plötzlich fehlte. Dass sich wenige Stunden später vor allem prominente Unionsvertreter wie Fraktionschef Jens Spahn dennoch für eine allgemeine Senkung ins Zeug legten, hatte gleich zwei Effekte: Erstens der Eindruck, da geht noch was; und zweitens: Oh weh, dieses Muster erinnert schon wieder an das Flackern der Ampel.
Nun sinkt die Stromsteuer für alle trotzdem nicht, auch nach fünfstündigen Beratungen der Partei- und Fraktionschefs, weil sich Union und SPD nicht auf eine Gegenfinanzierung – es ging um weitere 5 Milliarden Euro, die bis auf Weiteres im Bundeshaushalt gefehlt hätten – einigen konnten. Angesichts allgemein knapper Kassen und der gigantischen Verschuldung, die diese Regierung für die kommenden Jahre plant, sicher ein vernünftiger Entschluss. Dennoch ist er fatal, wenn dieselbe Runde beschließt, die ebenso kostspielige Aufstockung der Mütterrente um ein Jahr vorzuziehen. Konsequent wäre es gewesen, wenigstens auf beides zu verzichten.
Was bleibt nun als Erkenntnis aus diesem überraschend schnell und hitzig ausgetragenen Kampf um die Strompreise?
Wir waren zwar noch nicht auf dem Niveau von Habecks Heizungshammer – aber viel gefehlt hat dazu nicht mehr. Die Auseinandersetzung in der Koalition wurde eben nicht nur auf der Sachebene geführt, sondern sogleich persönlich und ziemlich giftig. Das ist umso gefährlicher, weil wir noch aus der kurzen Ampel-Phase wissen, wie lange solche Auseinandersetzungen nachwirken und das Klima in einem Regierungsbündnis vergiften können. Vor allem Kanzler Friedrich Merz wird seinen Fraktionschef Jens Spahn nun noch genauer beobachten müssen.

Klatsche für Klingbeil Plötzlich ist die SPD ein Risikofaktor in der Regierung
Die richtigen Streitpunkte kommen erst noch
Dies könnte umso schwerer wiegen, als die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche zwar über Fachwissen verfügt, aber über keine Hausmacht in der Fraktion. Solche Konstellationen bergen immer das Risiko, dass fachliche Fragen spätestens im Parlament zum Spielball persönlicher Interessen und Animositäten werden. Es wäre nicht überraschend, wenn dies auch in der Energiepolitik passiert.
Und die schwierigen, konfliktträchtigen Aufgaben kommen ja erst noch. Vordergründig wird sich die neue Regierung die Arbeit leicht machen können, indem sie die ehrgeizigen Ausbauziele ihrer Vorgänger für Netze, Kraftwerke und vor allem Wind- und Solarstrom reduziert oder streckt. Das kann in den kommenden Jahren die – wichtig: zusätzlichen! – Kosten der Energiewende vor allem bei den üblichen Umlagen und Netzentgelten reduzieren. Billiger wird dadurch nichts, aber der erwartete weitere Preisauftrieb durch die Energiewende könnte kleiner ausfallen als sonst.
Doch langfristig bleibt eine große ungelöste Frage, in der bisher keine klare Richtung der neuen Regierung erkennbar ist: Hält sie an den grundsätzlichen Zielen der Energiepolitik fest – das ist die weitgehende Elektrifizierung der Wirtschaft und des Verkehrs – oder will sie diese mindestens aufweichen? Was abstrakt klingt, mündet in eine ganz konkrete Entscheidung, die schon bald ansteht: Wie viele Gaskraftwerke will die neue Regierung tatsächlich in den kommenden Jahren zusätzlich im Land bauen lassen? Die alte Regierung hatte relativ knapp mit etwa 20 Kraftwerken geplant, Reiche will diese Zahl womöglich verdoppeln.
Einerseits sind neue Gaskraftwerke unbestritten wichtig, um das Stromnetz zu stabilisieren, andererseits ist ihr Bau und Betrieb extrem teuer, da die neuen Anlagen selten laufen, ihr Unterhalt aber dauerhaft finanziert werden muss. Und je mehr Gaskraftwerke gebaut und installiert werden, desto mehr stellt sich wiederum die Frage, ob der Ausbau der Stromnetze, der Wind- und Solarenergie sowie alternativer Speichertechnologien wie Großbatterien und Wasserstoff wirklich sinnvoll und wirtschaftlich ist.
Oft wird diese Frage hochemotional, fast religiös diskutiert. Doch in Wahrheit geht es dabei einfach um Kosten und Preise: Langfristig sind Wind- und Solarstrom die günstigsten verfügbaren Energiequellen, nicht nur günstiger als Gas, sondern auch als neue Kernkraftwerke (über die in Teilen der Union ja auch noch gerne ersatzweise sinniert wird). Dafür müssen Netze, Reservekraftwerke und Stromspeicher gebaut werden, das kostet in der aktuellen Übergangsphase – gerne auch Transformation genannt – viel Geld. Aber wer die Strompreise dauerhaft senken will, wird um diesen neuen Energiemix nicht herumkommen. Wie sich hier die Regierung und insbesondere die Union aufstellt, ist nach wie vor die spannendste Frage im Kampf um die Strompreise.
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