Ohne "grünen" Wasserstoff kann Deutschland nicht zum klimaneutralen Industrieland werden, sagen Experten. Doch der Wasserstoff-Boom bleibt bisher aus. Für noch mehr Verunsicherung sorgt der Koalitionsvertrag.

Die Wasserstoff-Branche steht vor einem Henne-Ei-Problem. Ohne große Abnehmer fehlt der Anreiz, "grünen" Wasserstoff herzustellen. Ohne preiswerten Wasserstoff wiederum fehlt es an Nachfrage. Die Folge ist ein Markt, der nur langsam wächst.

Dabei hatte die Ampel-Regierung versucht, den Markthochlauf durch staatliche Förderung voranzutreiben. Bis 2032 soll ein Kernnetz entstehen, über das Wasserstoff zu den Abnehmern gelangen soll. Die Liste der potentiellen Kunden ist lang, unter anderem die Grundstoff-Chemieindustrie und Raffinerien gehören dazu.

Stahlkonzern wendet sich ab

Die wohl meistdiskutierte Branche ist die Stahlindustrie, deren Fortbestand in Deutschland eng an das Versprechen von "grünem" Stahl geknüpft ist, der klimaneutral mit Wasserstoff produziert werden soll.

Doch gerade hier gibt es Zweifel. Der Luxemburger Stahlkonzern ArcelorMittal hat in der vergangenen Woche seine Pläne für "grünen" Stahl an den Standorten Bremen und Eisenhüttenstadt gestoppt. Die Produktion sei nicht wirtschaftlich, so die Begründung. Damit verzichtet das Unternehmen auf mehr als eine Milliarde Euro an staatlicher Förderung.

Maike Schmidt vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg sieht ArcelorMittal allerdings als "Einzelfall". Sie verweist auf die Leuna-Raffinerie in Sachsen-Anhalt, die sich mit dem Energieriesen RWE auf die Abnahme von "grünem" Wasserstoff verständigt hat. Auch die deutschen Stahlproduzenten Thyssenkrupp Steel, Salzgitter und die Stahl-Holding-Saar halten derzeit an ihren Plänen für "grünen" Stahl fest.

Dennoch sei der Ausstieg von ArcelorMittal natürlich kein positives Signal, so Schmidt. Das Unternehmen sei ein "Ankerkunde für das Wasserstoffkernnetz in Norddeutschland" gewesen.

Unklarheit bei Gaskraftwerken

Solche Ankerkunden wären nach Ansicht der Wasserstoffbranche auch die neuen Gaskraftwerke, die in den kommenden Jahren entstehen sollen. Nach Plänen der Ampel-Regierung sollten die Kraftwerke "H2-ready" sein, also perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden können. "Je früher sie umstellen, desto schneller entsteht ein funktionierender Markt", sagt Friederike Lassen vom Deutschen Wasserstoff-Verband.

Allerdings kommen auch hier Zweifel auf. Während die alte Bundesregierung die Wasserstofftauglichkeit der neuen Kraftwerke zur Bedingung für deren Bau machen wollte, ist davon im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD nichts zu lesen. Die neue Bundeswirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) hält sich mit Bekenntnissen zu wasserstoffkompatiblen Gaskraftwerken zurück.

Expertin Schmidt nennt das "befremdlich". Trotz aller Schwierigkeiten sieht sie keine Alternative zu "grünem" Wasserstoff. "Ich wüsste nicht, wie wir die Klimaneutralität sonst schaffen sollen", so Schmidt.

Ziel des Bundes bis 2030 kaum zu schaffen?

Die Herstellungskapazitäten für "grünen" Wasserstoff in Deutschland wachsen allerdings nur langsam. Laut der Nationalen Wasserstoffstrategie des Bundes soll bis 2030 eine Kapazität von 10 Gigawatt aufgebaut werden. Bisher ist aber nur ein Bruchteil davon installiert, nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sind es gerade mal 0,16 Gigawatt.

Das Ziel bis 2030 sei kaum noch zu erreichen, sagt Martin Wietschel vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Weil das Angebot auf absehbare Zeit begrenzt sein werde, fordert er eine Fokussierung auf die Branchen, in denen Wasserstoff wirklich alternativlos ist. Neben der Stromversorgung nennt Wietschel die Stahlproduktion, die Grundstoffchemie, Raffinerien und den internationale Flug- und Schiffsverkehr.

Für die Gebäudewärme gebe es hingegen sinnvolle Alternativen, so der Wissenschaftler, unter anderem Wärmepumpen. Im Verkehr spielen Brennstoffzellenautos mit Wasserstoff ohnehin kaum eine Rolle. Hier haben E-Autos den Technologiewettkampf für sich entschieden.

Wasserstoff im Ausland günstiger

Wietschel geht davon aus, dass Deutschland beim Wasserstoff teilweise auf Importe angewiesen bleiben wird. Die Bedingungen für Strom aus erneuerbaren Quellen, der für die Herstellung gebraucht wird, seien anderswo besser. "Wir haben nicht viele Sonnenstunden und die Windgeschwindigkeiten sind beschränkt", so Wietschel. Auch perspektivisch werde "grüner" Wasserstoff deshalb in anderen Teilen der Welt günstiger herzustellen sein.

Wasserstoff-Expertin Maike Schmidt gibt sich trotz des langsamen Fortschritts zuversichtlich. "Eigentlich ist es bei allen neuen Technologien so, dass sie Zeit brauchen", sagt sie. "Das war auch bei den Erneuerbaren Energien so." Inzwischen machen diese immerhin schon rund 60 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland aus.

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