Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, der "Bau-Turbo" der Regierung soll helfen. Kritiker bemängeln, das Gesetz ziele nicht zuerst auf günstige Wohnungen. Auch die Immobilienwirtschaft erkennt nur einen ersten Schritt.

Gerade wer in Ballungsgebieten auf Wohnungssuche ist, ist mit teils enorm hohen Angebotsmieten konfrontiert - und gleichzeitig mit einem spärlichen Angebot an freien Wohnungen. Einer vergangene Woche veröffentlichten Auswertung des Bauministeriums zufolge stiegen die Angebotsmieten in den 14 größten kreisfreien Städten seit 2015 durchschnittlich um fast 50 Prozent.

Eine Ursache für den Wohnraummangel: Es wird zu wenig und zu langsam gebaut. "Schneller bauen heißt günstiger bauen", sagte etwa Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) in der vergangenen Woche. Die Koalition hatte sich den "Bau-Turbo" in den Koalitionsvertrag geschrieben, der nun vom Kabinett beschlossen wurde.

Die zentrale Idee: Planungsprozesse in den Kommunen sollen vereinfacht und beschleunigt werden. Das wiederum soll bezahlbaren Wohnraum schaffen. Teil des "Bau-Turbos" ist auch die Verlängerung des Schutzes von Miet- in Eigentumswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt um fünf Jahre.

Bauministerium hofft auf Milliardenersparnisse

Insgesamt sollen mit dem "Bau-Turbo" laut Bauministerium 2,5 Milliarden Euro eingespart werden - ein Hauptteil entfällt dabei auf die Verwaltungskosten, nämlich 1,7 Milliarden Euro. Die Hoffnung ist, dass in Fällen schnellerer Genehmigungsverfahren auch weniger Kosten an die Bauträger weitergegeben werden. Zudem sollen Bauträger durch geringeren Aufwand wieder fürs Bauen begeistert werden. Die Ampel-Koalition hatte zuletzt ihre Ziele für den Neubau deutlich verfehlt.

Für mehr neue Wohnungen soll bis 2030 von den bisher geltenden Vorschriften des Planungsrechts abgewichen werden können, wenn die Kommunen das selbst so wollen, so die Pläne der Regierung. Dabei geht es etwa um Veränderungen von Bebauungsplänen. "Beispielsweise können ein Haus oder ein ganzer Straßenzug nun über die vom Bebauungsplan vorgegebenen Maße hinaus aufgestockt werden, ohne dass der Plan zuvor geändert werden müsste", heißt es exemplarisch vom Bundesbauministerium.

Etat des Bauministeriums wird größer Das Bauministerium sieht sich als einen der Gewinner der Haushaltsverhandlungen. Der Etat steige 2025 auf 7,4 (2024: 6,7) Milliarden Euro, wie das Ministerium mitteilte. 2026 sollen es dann 7,6 Milliarden Euro sein. "Mit Rekordmitteln für den sozialen Wohnungsbau schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass die Trendumkehr gelingt und wir den Bestand an Sozialwohnungen endlich wieder erhöhen", sagte Bauministerin Verena Hubertz (SPD). "Von 2025 bis 2029 stellt der Bund die Rekordsumme von insgesamt 23,5 Milliarden Euro zur Verfügung."

Das Ministerium betonte, bis 2029 sollten die jährlichen Mittel für die Städtebauförderung schrittweise auf 1,58 Milliarden Euro verdoppelt werden. Für den sozialen Wohnungsbau stehen im laufenden Jahr 3,5 Milliarden Euro bereit. Für 2026 sind es vier Milliarden Euro, 2027 fünf Milliarden, 2028 und 2029 jeweils 5,5 Milliarden.

Hoffnung: Mehr Angebot lässt Preise sinken

Auch neues Bauland, also etwa bisherige Ackerflächen, könnte so schneller als Wohnraum ausgewiesen werden. Denn bisher dauert es mehrere Jahre, bis alle Planungsprozesse, etwa Bürgerbeteiligungen oder Umweltgutachten, durchgeführt sind. Und das wiederum könnte dann auch die Preise für die Häuser und Wohnungen sinken lassen, so die Hoffnung der Befürworter des "Bau-Turbos".

Die Maxime: Gibt es mehr Bauflächen, bei etwa gleichbleibender Nachfrage, sinkt der Preis. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat entsprechend errechnet, dass zehn Hektar zusätzliche Baufläche mit einer Preissenkung bei Kaufangeboten um zwei Prozent verbunden sind.

Nachteile für Bestandsmieter?

Doch dass der "Bau-Turbo" in Sachen bezahlbarer Wohnraum eine echte Wende bringt, daran gibt es Zweifel - allen voran vom Deutschen Mieterbund (DMB). Nach Ansicht des DMB-Präsidenten Lukas Siebenkotten könnte das Gesetz sogar negative Effekte für Mieterinnen und Mieter haben, die ohnehin schon sehr teure Mieten zahlen und deren Wohnungen sich in Milieuschutzgebieten befinden. "Wenn auch in Milieuschutzgebieten plötzlich der 'Bau-Turbo' gilt, könnte dort etwa ein neues Stockwerk mitsamt Aufzug gebaut werden - und die Kosten dann auf die anderen Mieter umgelegt werden."

"Nirgendwo steht, dass es um bezahlbaren Wohnraum geht"

Außerdem fürchtet Siebenkotten, dass der "Bau-Turbo" vor allem denjenigen zugutekommen könnte, die sich Wohnraum ohnehin auch jetzt schon gut leisten können. "Nirgendwo im Bau-Turbo steht, dass es um bezahlbaren Wohnraum gehen soll." Eine Beschränkung auf Mehrwohneinheiten ab sechs Wohnungen sei aus dem aktuellen Kabinettsentwurf gestrichen worden. Das könnte dazu führen, dass vor allem Einfamilien- oder Zweifamilienhäuser gebaut werden. 

Auch der Stadtforscher Sebastian Schipper von der Universität Frankfurt teilt die Bedenken an der fehlenden Wirksamkeit des Turbos für den bezahlbaren Wohnraum. "Ob die Menge an neuen Flächen durch den Turbo ausreichen wird, um spürbare Effekte zu erreichen, ist unklar", sagte er tagesschau.de. "Zudem würde es, 'Bau-Turbo' hin oder her, Jahre dauern, bis mögliche Preiseffekte im Neubau sichtbar werden, denn Bauen dauert so oder so lange."

Werden Kostenersparnisse an Mieter weitergegeben?

Außerdem wendet Schipper ein: "Nur weil die Baukosten gesenkt werden, heißt das nicht automatisch, dass diese Senkung an Mietende und Käufer weitergegeben wird." Bei Genossenschaften und öffentlichen Bauträgern gehe er zwar davon aus, "aber bei gewinnorientierten Akteuren rechne ich damit, dass weiterhin die Marktpreise genommen nehmen, die man nehmen kann".

Das Problem: Im Gegensatz zu anderen Waren, bei denen Verbraucherinnen und Verbraucher bei steigenden Preisen entscheiden können, diese Güter weniger oder gar nicht mehr zu konsumieren, muss jeder und jede wohnen. Ausweichen in andere Regionen ist wegen des Jobs, sozialer Netze oder anderer Gründe nicht immer möglich - und längst nicht mehr unbedingt wesentlich günstiger.

Überforderung durch zu hohe Miete

Und so nehmen dann viele Menschen doch in Kauf, mehr Miete zu zahlen als sie sich eigentlich leisten können, damit die Kinder nicht das vertraute Umfeld verlassen müssen oder damit man weiterhin in annehmbarer Zeit zur Arbeit kommt.

Laut DIW hat sich der Anteil der "überbelasteten Haushalte", also solcher, die mehr als 40 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für die Miete ausgeben, seit 1990 verdreifacht - von fünf auf immerhin 14 Prozent. Üblicherweise raten Experten dazu, nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltsnettos für Miete auszugeben.

Turbo nur für geförderten Wohnraum?

Für Schipper und auch Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund stehen daher andere Maßnahmen im Fokus. Siebenkotten fordert, den Turbo auf Mietwohnungen sowie geförderten Wohnraum und Gebäude mit mehreren Einheiten zu beschränken. "Dann könnte es tatsächlich ein Turbo für den bezahlbaren Wohnraum werden", sagt Siebenkotten. Denn hier gebe es tatsächlich einige Auflagen und Hürden für eigentlich interessierte Bauträger.

Experte kann sich Enteignungen vorstellen

Sebastian Schipper, der Professor für geografische Stadtforschung, geht noch einen Schritt weiter: "Der größte Kostenbatzen ist der Bodenpreis. Der macht in Ballungsgebieten mehr als die Hälfte der Kosten des fertigen Preises aus", sagt er. Hier gebe es deutlichen Handlungsbedarf. Mögliche Hebel aus seiner Sicht: ein effektives Vorkaufsrecht der Kommunen.

Oder gar Enteignungen. Das scharfe Instrument findet derzeit etwa beim Ausbau von Bahnlinien Anwendung. Auch hier gebe es natürlich Geld für das Bauland, betont Schipper. "Allerdings eben zum Preis für eine landwirtschaftliche Fläche und nicht für einen spekulativen Kostenpreis für mögliche Gewinne in der Zukunft damit."

Bauindustrie: Baukosten eigentlicher Hebel

Aber auch die Bauindustrie selbst sieht den "Bau-Turbo" zwar als "starkes Signal", wie etwa der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie betonte. Doch auch hier sieht man im Turbo nicht den Durchbruch für bezahlbaren Wohnraum. So heißt es in einer Stellungnahme zum Kabinettsbeschluss: "Die Bundesbauministerin nimmt richtigerweise auch die Reduzierung der Baukosten in den Blick, den eigentlichen Hebel für mehr Bezahlbarkeit am Wohnungsmarkt."

An den Effekten des "Bau-Turbos" für bezahlbares Wohnung gibt es also Zweifel. Allerdings ist er auch nur ein Element der Wohnraumstrategie der Regierung. So soll etwa die Mietpreisbremse bis Ende 2029 verlängert werden. Außerdem heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle den Bau günstiger Wohnungen durch die Wohnungswirtschaft mit Beteiligungen des Bundes ankurbeln, etwa über Garantien. So sollen die Finanzierungskosten so sinken, "dass gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft in großer Zahl Wohnungen in angespannten Wohnungsmärkten für unter 15 Euro pro Quadratmeter entstehen können".

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