Rund einen Monat nach Antritt der neuen Bundesregierung tun sich zwischen den Koalitionspartnern erste Gräben auf. Ob Rente, Bürgergeld oder Mindestlohn: Streitpunkte zwischen CDU/CSU und SPD gibt es vor allem in der Sozialpolitik. Weil der Koalitionsvertrag an entscheidenden Stellen vage ist, bleibt viel Platz für Diskussionen. Auch das Thema Arbeitszeit sorgt für Auseinandersetzungen.

Zwar steht im Koalitionsvertrag, dass die Arbeitszeiten „im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie“ flexibilisiert werden sollen. Geplant ist ein Wechsel von einer Tages- hin zur Wochenhöchstarbeitszeit. Doch dafür müsste das Bundesarbeitsministerium (BMAS) ein Gesetz auf den Weg bringen. Aktuell ist die Arbeitszeit auf acht Stunden pro Tag begrenzt, in Ausnahmefällen sind auch zehn möglich. Das Problem: Die Gewerkschaften sind geschlossen gegen das Vorhaben. Sie wollen den „Angriff auf das Arbeitszeitgesetz“ verhindern.

Die Regierung wolle „rechtlich fragwürdige Geschäftsmodelle legalisieren“, kritisiert Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Damit würden regelmäßige Zwölf-Stunden-Schichten bei Subunternehmern im Paketdienst oder fehlende Ruhezeiten im Hotel- und Gastgewerbe ermöglicht. Was die Sache erschwert: Ein Gesetz gegen den Willen der Gewerkschaften durchzusetzen, wird heikel für das SPD-geführte Arbeitsministerium unter Bärbel Bas. Die Verbindungen gelten als eng; in den letzten zwei Legislaturperioden trugen Gesetze aus dem BMAS oft die Handschrift von DGB und Co.

Eine neue Studie könnte die Diskussion zusätzlich anheizen. So zeigt eine Erhebung des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), die WELT exklusiv vorliegt, dass flexiblere Arbeitsformen bei Bürobeschäftigten keine zusätzlichen gesundheitlichen Risiken hervorrufen. Das gilt sowohl bei längeren täglichen Arbeitszeiten als auch bei kürzeren Ruhepausen als im Gesetz festgeschrieben. Die Analyse basiert auf Daten der Arbeitszeiterhebungen 2017, 2019 und 2021 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Bislang sind der Studie zufolge nur bei einem kleinen Teil der Beschäftigten kürzere Ruhezeiten und sehr lange tägliche Arbeitszeiten zu beobachten. Einen Trend zu kürzeren Ruhezeiten gibt es laut Studienautor Oliver Stettes kaum. „Für nahezu die Hälfte der Bürobeschäftigten mit verkürzten Ruhezeiten kommt dies nur maximal einmal im Monat vor“, sagt er. „Eine tägliche Arbeitszeit, die mehr als zehn Stunden beträgt, betraf 2021 knapp sieben Prozent der Bürobeschäftigten.“

Bei sehr langen Tagesarbeitszeiten sind laut der Studie keine negativen Auffälligkeiten im Arbeitserleben – etwa mit Blick auf die Arbeitszufriedenheit, Erschöpfung oder Arbeitsfähigkeit – zu beobachten. Dasselbe gilt für Ruhezeitverkürzungen, etwa, wenn die Arbeit tagsüber für Privates oder Erledigungen unterbrochen und am Abend nachgeholt wird. Die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf mehr als zehn Stunden und häufigere verkürzte Ruhezeiten wirken sich nicht negativ auf den selbst eingeschätzten allgemeinen Gesundheitszustand oder die Anzahl der Krankentage aus, so das Fazit.

Zumindest für Bürobeschäftigte sollte daher die Tageshöchstarbeitszeit grundsätzlich abgeschafft werden, lautet der Appell des IW. „Bei der Forderung, verkürzte Ruhezeiten oder eine tägliche Arbeitszeit jenseits der Zehn-Stunden-Schwelle zuzulassen, geht es nicht darum, die vertragliche beziehungsweise tatsächliche Wochenarbeitszeit anzuheben“, sagt Stettes.

Letzten Endes werde nicht mehr gearbeitet, sondern nur flexibler. „Die öffentliche Diskussion erweckt allerdings gelegentlich den Eindruck, dass die Flexibilisierung als trojanisches Pferd für eine faktische Arbeitszeitverlängerung missbraucht werden könnte.“

Der Haken: Daten für Beschäftigte jenseits von Bürojobs liegen nicht vor. Ob sich beispielsweise in Industriebetrieben in der Produktion oder auf dem Bau das Risiko von Arbeitsunfällen und Krankheiten erhöhen würde, geht aus der Studie nicht hervor. Sie beschränkt sich auf die Gruppe der Beschäftigten, deren Risiken während der Arbeit seltener, die Flexibilität wiederum höher ist.

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.

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