Jan Brügge zieht den Gennaker auf, das große, leichte Halbwindsegel, und die „Woy 26“ beschleunigt in Sekunden auf 12,7 Knoten. Elegant rauscht die gut 7,90 Meter lange Regattayacht nun vor Arnis mit etwa 23,5 Stundenkilometern über die Schlei, mehr lässt das enge Fahrwasser an dieser Stelle bei dem böigen Wind nicht zu. Der Skipper eines schweren Motorseglers freut sich, als er von dem Rennboot mit der flachen Silhouette und dem breiten, offenen Heck überholt wird.

Was der Segler dabei nicht sieht: Der mit orangener Folie beklebte Rumpf besteht nicht aus Kunststoff, wie heutzutage nahezu alle neuen Sportboote, sondern aus Fichte und Kiefer. Obenauf liegt ein Deck aus Oregon Pine. Am Abend soll die „Woy 26“ zum ersten Mal bei der Mittwochsregatta in Arnis starten, nach jahrelanger Vorbereitung und Bauzeit, nach vielen Testfahrten und Feinjustierungen. „Es ist ein großartiger Moment zu sehen, wie aus der Vision Wirklichkeit wird“, sagt Brügge, der die „Woy 26“ mit seinem Team gebaut hat, „und wie sich die Entwicklung der letzten Jahre auszahlt und das Verfahren in der Praxis und im Alltag funktioniert.“

Nicht nur eine neue Yacht hat Brügge gefertigt, eine ganze Kategorie des Bootsbaus will der 37-Jährige neu aufleben lassen. Holz, jahrtausendelang das dominierende Material für Schiffe und Boote, ist aus deren Herstellung heutzutage weitgehend verschwunden. Das liegt nicht nur daran, dass die Verwendung von Edelhölzern wie Mahagoni und Teak beim Bau von Yachten aus ökologischen Gründen mittlerweile als schwierig gilt. Auch klassische heimische Hölzer wie Eiche findet man als Baumaterial für neue Boote nur noch selten. „Seit den sechziger und siebziger Jahren wurde der Werkstoff Holz fast vollständig vom Markt verdrängt“, sagt Brügge. „Aus meiner Sicht deshalb, weil die Technologie des Holzbootsbaus nicht weiterentwickelt wurde. Das habe ich mir zur Aufgabe gemacht.“

Auf Brügges Werft, einem früheren Bauernhof in Grödersby nahe Arnis, wird die Spantenstruktur für die „Woy 26“ gefertigt, die Außenhaut aufgebracht, das Deck gelegt. Nach Fichte und Kiefer beim ersten Exemplar baut Brügge den Rumpf der zweiten Woy („Wooden Yacht“) derzeit überwiegende aus Lerche. Für die Herstellung der Furniere kommt etwa Weißtanne infrage: „Wir probieren weiterhin aus, was mit welchen heimischen Hölzern beim Bau unserer Boote möglich ist. Dabei gehen wir natürlich auch auf die Wünsche der Kunden ein.“ Entscheidend für Brügges Ansatz ist aber nicht nur die Verwendung heimischer, nachhaltig forstbarer Hölzer, sondern auch die Modernisierung der Produktion: „Wir haben es geschafft das Vakuuminfusions-Verfahren auf das Formverleimen anzuwenden“, sagt er. „Anfang des Jahres haben wir bei Knierim in Kiel Bauformen für unsere ,Woy 26‘ fräsen lassen. Mitte April haben wir den ersten Rumpf und das erste Deck auf diesen Formen in unserem Verfahren gefertigt.“

Die Schlei zwischen Schleswig und Schleimünde ist eines der schönsten Segelreviere Deutschlands. Und sie ist ein Biotop kleiner, agiler und innovativer Werften, die klassische und moderne Segeljollen, Yachten und Motorboote entwickeln und bauen, etwa Mittelmann’s, Henningsen & Steckmest und Janssen & Renkhoff in Kappeln oder Balticat in Arnis.

Brügge liefert ein Beispiel für die Innovationskraft dieser Familienunternehmen. Gefördert wurde die Entwicklung und der Bau der ersten „Woy 26“ durch das „Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand“ (ZIM) des Bundeswirtschaftsministeriums. Im Mai gewann die „Woy 26“ im Deutschen Technikmuseum Berlin zwei Auszeichnungen beim „German Innovation Award“ des Rates für Formgebung (German Design Council). Rund 460 Einreichungen waren beim diesjährigen Wettbewerb von den Jurys begutachtet, 15 Gold-Auszeichnungen vergeben worden. Der Rat, initiiert 1953 vom Deutschen Bundestag, vertritt als gemeinnützige Stiftung die Interessen von rund 300 designorientierten Unternehmen.

Für Schleswig-Holstein haben Boote eine große Bedeutung, nicht nur beim weltgrößten Segelsportereignis, der Kieler Woche, sondern auch mit den privat genutzten Booten in den Marinas an Nord- und Ostsee „Wassersport hat mit seinen rund 30.000 Liegeplätzen für Yachten einen wesentlichen Anteil am schleswig-holsteinischen Tourismus“, sagt Landes-Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU). „Auch ,Sehleute‘ sind eine wichtige Zielgruppe Schleswig-Holsteins. Sie nehmen Marinas als Teil des touristischen Angebots wahr und interessieren sich für maritime Themen, Segeln und Boote.“

Auch die Schlei hat die Politik dabei im Blick. „Hier sind zwar nicht die größten Yachtwerften ansässig, sicherlich aber die besten Bootsbauer“, sagt Madsen. „Die Schlei dürfte die höchste Dichte an Bootswerften haben und die besten Bootsbau-Gesellen hervorbringen. Hier findet der anspruchsvolle Kunde geballte Kompetenz, wie man aus edelsten Materialien wunderbare und in höchstem Maße individuelle Yachten und Boote baut.“

Kappelns Bürgermeister Joachim Stoll sagt: „Nirgends sonst gibt es solch ein Netzwerk eigenständiger, aber eng kooperierender Unternehmen, deren Bandbreite vom traditionellen Boots- und Yachtbau hin zu hochtechnologischen Fertigungsmethoden reicht und das durch alle Sparten des Yachtservice komplettiert wird.“ Die maritime Wirtschaft sei für Kappeln „ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber und zugleich identitätsstiftend für unsere Stadt. Die Bootswerft von Jan Brügge in Grödersby ist eines der herausragenden Unternehmen in dieser Sparte.“

Der gebürtige Hamburger Brügge, Deutschlands bester Bootsbau-Geselle des Jahres 2013, gründete seine Werft im Jahr 2016. Mittlerweile beschäftigt er 20 Mitarbeitende, darunter sechs Auszubildende, von denen einer, Jonas Müller, 2024 seinerseits als zweitbester Bootsbau-Gesellen in Deutschland ausgezeichnet wurde. Die Werft sei profitabel, sagt Brügge, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern selbst in Grödersby lebt. Neben dem Bau von Booten seien die Grundlage dafür vor allem das Geschäft mit Reparaturen und Refits, der Service und das Winterlager. Als Untermieter bei Balticat und der Schiffswerft Heinrich Eberhardt in Arnis hat Brügges Unternehmen seit dem vergangenen Jahr einen eigenen Zugang zum Wasser, zwei Liegeplätze für den Service und zusätzliche Hallenkapazität.

Für die Zukunft setzt die Werft verstärkt auf den Neubau. Die zweite „Woy 26“, die derzeit in Grödersby gebaut wird, geht an den Wannsee in Berlin. Das dritte Boot soll von Juli an für einen Kunden am Bodensee entstehen. Die erste „Woy 26“ gehört zurzeit noch der Werft. Den Preis der Boote nennt Brügge nicht, er dürfte aber deutlich sechsstellig sein. „Wir hatten inzwischen auch internationale Anfragen“, sagt Brügge, „für die Karibik, aus Porto Cervo auf Sardinien, vom Gardasee.“ Rund 1120 Kilogramm wiegt die erste „Woy 26“ mit Elektromotor. Mast, Bugsprit, Ruderblätter, Kielfinne, Motorkasten und Pinne bestehen aus dem Kohlefaser-Material Carbon. Das Gewicht der von Martin Menzner konstruierten Yacht will die Werft im Rahmen der Kleinserien-Fertigung noch reduzieren.

Bei der ersten Mittwochabend-Regatta vor Arnis lief es noch nicht optimal für die „Woy 26“, trotz vieler erfolgreicher Testfahrten, bei denen das Boot auf der Schlei auch schon mal 18,7 Knoten erreicht hatte. „Ein missglücktes Gennaker-Manöver hat sie ordentlich nach hinten geworfen“, sagt Brügge zu den Erfahrungen nach der ersten Wettfahrt. Das Werftteam will weiter trainieren – auch für die Teilnahme an der Kieler Woche und an der Aalregatta auf der Eckernförder Bucht in diesem Sommer.

Dass die Werft in Grödersby ein erfolgreiches Regattaboot bauen kann, hat sie schon vor der „Woy 26“ bewiesen. Im Jahr 2022 ließ Brügge einen 48-Fuß-Racer zu Wasser, der später in Arnis auf den Namen „Elida“ getauft wurde. Das Boot mit einer Struktur aus Carbon und einer Rumpfhaut aus Alaska-Fichte und Mahagoni gehört Daniel Baum, dem Mitinhaber des Hamburger Yachtversicherungs-Konzerns Pantaenius. Aktuell segelte Baums Crew die „Elida“ zu Pfingsten bei der Nordseewoche vor Helgoland.

Vom 17. Juli bis zum 1. August will Brügge mit Baums Team bei der seit dem Jahr 2003 ersten Neuauflage des legendären Admiral‘s Cup antreten. Der Royal Ocean Racing Club auf der britischen Kanalinsel Isle of Wight richtet die Traditionsregatta zu seinem 100-jährigen Jubiläum erneut aus – es ist eine Art inoffizielle Weltmeisterschaft für das Hochseesegeln. Und auch die Holzklasse ist dabei willkommen.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet regelmäßig über die maritime Wirtschaft und auch über den Bau von Yachten.

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