• In Mitteldeutschland sinken das Arbeitsvolumen und die Pro-Kopf-Arbeitsstunden.
  • Die Menschen in der Region arbeiten trotzdem mehr als im Bundesschnitt.
  • Wichtiger als reine Arbeitszeit ist die Produktivität – die weiter steigen muss.

Ein grober Blick auf die Arbeitszeit in Mitteldeutschland zeigt zwei zentrale Trends: Das gesamte Arbeitsvolumen hat sich verringert und die Arbeitsstunden pro Kopf sind gesunken. Haben Politiker wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Arbeitgeberverbände also recht, wenn sie wieder "mehr Bock auf Arbeit" fordern?

Arbeitsvolumen im Osten sinkt nicht grundlos

Erste Beobachtung: In den ostdeutschen Bundesländern ist die Gesamtzahl aller geleisteten Arbeitsstunden seit dem Jahr 2000 um etwa 15 Prozent gesunken. Deutschlandweit ist das Arbeitsvolumen in diesem Zeitraum hingegen gestiegen. Das zeigen Daten der Statistischen Landesämter.

Ihren bisherigen Höchststand erreichte die Gesamtarbeitszeit im Jahr 2019. Am Anfang der Corona-Pandemie sank die Arbeitszeit unter anderem durch Kurzarbeit stark, erholte sich danach jedoch teilweise.

Entwicklung nach der Wende: weniger Erwerbstätige

Die Zahl der geleisteten Stunden hängt in erster Linie mit der Anzahl der Erwerbstätigen zusammen. Neben der hohen Arbeitslosigkeit nach der Wende, zogen vor allem viele junge Menschen damals in den Westen.

In den vergangenen Jahren hat sich dieser Trend verlangsamt, sodass Zu- und Wegzüge mittlerweile weitgehend ausgeglichen sind. Allerdings leben aufgrund des demografischen Wandels anteilig immer mehr Seniorinnen und Senioren in Mitteldeutschland – und damit tendenziell weniger Erwerbstätige.

Arbeitsstunden pro Kopf sind irreführend

Zweite Beobachtung: die durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf in einem Jahr. Dabei spielt es keine Rolle, wie viele Menschen in einer Region arbeiten. Diese Stundenzahl sinkt in Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Thüringen, aber auch bundesweit.

In Zahlen: Im Jahr 2024 arbeitete ein Erwerbstätiger in Mitteldeutschland im Schnitt 1.366 Stunden, das entspricht etwa 57 Tagen. Zur Jahrtausendwende waren es etwa neun Tage mehr. Dennoch arbeiten die Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen pro Kopf mehr als in anderen Bundesländern: Die Deutschen arbeiten durchschnittlich nur 1.332 Stunden, etwa 55,5 Tage.

Das Problem dieser Pro-Kopf-Quote: Je mehr Teilzeitbeschäftigte es gibt, desto niedriger ist die durchschnittliche Zahl der Arbeitsstunden – selbst wenn jemand durch die Teilzeitstelle erst anfängt, zu arbeiten. So ist zwar die Arbeitslosenquote in Mitteldeutschland gesunken, doch mit ihr auch die durchschnittliche Arbeitszeit.

Wer arbeitet von der erwerbsfähigen Bevölkerung?

Aussagekräftiger ist eine andere Zahl: die tatsächlich geleisteten Pro-Kopf-Arbeitsstunden aller 15- bis 64-Jährigen. Dieser Wert bildet das Arbeitsvolumen der erwerbstätigen Bevölkerung ab und berücksichtigt dabei das Arbeitspotenzial in der Bevölkerung.

Hier zeigt sich: Die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf ist lange gestiegen. Denn immer mehr Menschen kommen in Arbeit – wenn auch zunächst in Teilzeit. Der Höhepunkt der Pro-Kopf-Arbeitszeit wurde im Jahr 2019 erreicht, seither ist sie wieder gesunken. Das zeigt zumindest, dass im Schnitt tatsächlich weniger gearbeitet wird als noch vor einigen Jahren.

Osten schöpft Arbeitspotential besser aus

Deutlich wird auch, dass Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ihr Arbeitspotenzial besser ausschöpfen als andere Bundesländer. Die durchschnittliche Arbeitszeit bei 15- bis 64-Jährigen lag 2023 in Sachsen-Anhalt bei 1.056 Stunden, in Sachsen bei 1.163 Stunden, in Thüringen bei 1.112 Stunden und deutschlandweit laut Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft bei 1.036 Stunden. Besonders Frauen arbeiten in Mitteldeutschland häufiger als im Westen, seltener in Teilzeit und durchschnittlich mehr Stunden.

Laut einer Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2024 arbeiten Frauen in den westdeutschen Bundesländern häufiger weniger, als sie es gerne würden. Ein Grund dafür ist die schlechtere Ganztagsbetreuung.

Produktivität statt Arbeitszeit steigern

Allein auf die Arbeitszeit zu schauen, reicht aber nicht aus: "Hinter der Diskussion über Arbeitszeitverlängerung steckt die Sorge, dass es zu wenig Arbeitskräfte gibt," sagt Joachim Ragnitz von der Dresdner Niederlassung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo).

Joachim Ragnitz, Stellvertretender Leiter der Ifo-Niederlassung DresdenBildrechte: picture alliance/Ralf Succo

Denn wenn mehr Produktivität und Investitionen die fehlenden Arbeitskräfte nicht ausgleichen könnten, dann würde sich die Wirtschaft weiter schlecht entwickeln, so der Wirtschaftsforscher.

Es ist also nicht nur wichtig, wie viel gearbeitet wird. Es ist auch wichtig, wie viel Wert dabei erzeugt wird. Das Bruttoinlandsprodukt beschreibt, welchen Wert die erbrachten Waren und Dienstleistungen haben.

Heruntergebrochen auf eine Arbeitsstunde lässt sich berechnen, welchen Wert in Euro ein Erwerbstätiger im Schnitt innerhalb einer Stunde erwirtschaftet. Je höher diese Arbeitsproduktivität ist, desto mehr trägt eine Arbeitskraft zur messbaren Wirtschaftsleistung bei.

Die Arbeitsproduktivität ist in Mitteldeutschland seit 2000 von rund 30 Euro pro Stunde auf etwa 45 Euro gestiegen. Bundesweit liegt dieser Wert bei etwa 53 Euro und damit deutlich höher. Der Grund: Die Arbeitsproduktivität ist stark an die Löhne und Investitionen von Unternehmen gekoppelt. Beides ist in Westdeutschland höher.

Firmen im Osten: Weniger Forschung, niedrigere Löhne

Viele Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern seien eher klein, sagt Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut. "Als kleine Unternehmen haben sie wenig Möglichkeiten, Forschung und Entwicklung zu betreiben. Sie können typischerweise am Markt keine höheren Preise durchsetzen, weil sie keine Marktmacht haben. Viele Unternehmen haben ein Geschäftsmodell gewählt, bei dem sie einfache Produkte zu niedrigen Preisen verkaufen," sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sieht ebenfalls bei den überwiegenden schlecht bezahlten Stellen ein Problem – der Osten sei häufig nur eine sogenannte verlängerte Werkbank. "Die höchste Produktivität gibt es statistisch in den Bereichen Forschung und Entwicklung. Und diese Bereiche sind in den Konzernzentralen angesiedelt, die eher im Westen stehen", sagt er.

Oliver Holtemöller, Vizepräsident und Leiter der Abteilung Makroökonomik des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung HalleBildrechte: IWH/fotowerk

Arbeitsproduktivität muss steigen

Die Arbeitsproduktivität müsste Holtemöller zufolge aber steigen. Denn auch in Zukunft werden in Mitteldeutschland immer mehr Arbeitskräfte fehlen. Ein Teil des Bedarfs könne durch Mehrarbeit, Migration und ein höheres Rentenalter aufgefangen werden, sagt Oliver Holtemöller. Aber: "Auch wenn alles gleichzeitig umgesetzt wird, reicht das auf keinen Fall."

Zumindest um Zentren wie Leipzig oder Dresden und in manchen Teilen Sachsen-Anhalts sei die Arbeitsproduktivität bereit sehr hoch. Der Wirtschaftsprofessor nennt den Saalekreis mit der chemischen Industrie als Beispiel. In anderen Iändlichen Regionen sei sie dafür sehr niedrig.

Unternehmen im Osten müssen sich weiterentwickeln

Die Wissenschaftler vom Ifo-Institut und IWH empfehlen daher einerseits Investitionen in Maschinen und Digitalisierung, um effizienter zu arbeiten. Um die Regionen weiterzuentwickeln, müsste aber in Bildung investiert werden, damit die Arbeitskräfte besser qualifiziert seien und private Unternehmen Forschung in der Region betreiben.

Dazu gehöre aber auch die entsprechende öffentliche Infrastruktur, damit Hochqualifizierte in der Region bleiben, sagt Oliver Holtemöller.

Messbare Produktivität ist nicht alles

Trotz des aktuellen Fokus auf Arbeitszeit und Produktivität betonen beide Wirtschaftsforscher, dass es am Ende eine individuelle Entscheidung bleibt, wie viel jemand arbeitet. Die Politik solle sich vor allem darauf konzentrieren, Hürden abzubauen: etwa, indem sie die Abgaben auf Arbeit verringert oder Kinderbetreuung fördert.

Und es gibt auch Arbeit, die nicht direkt mit dem Bruttoinlandsprodukt messbar ist: Menschen, die Zuhause ihre Angehörigen pflegen; Eltern, die ihre Kinder betreuen oder die Ehrenamtlichen bei den Tafeln, auf den Sportplätzen und in den Feuerwehren.

MDR (Leonhard Eckwert)

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