Viele Führungskräfte sind überrascht, wenn Mitarbeiter kündigen, sagt ein Experte. Er erklärt, welche Gründe vorgeschoben werden und was wirklich dahinter steckt.

Herr Conrad, Sie glauben, dass Mitarbeiter ihren Vorgesetzten selten direkt sagen, was sie wirklich stört - am Ende aber deshalb kündigen. Wie kommen Sie darauf?
Ich erlebe häufig Führungskräfte, die aus allen Wolken fallen, wenn jemand kündigt. Sie können sich das nicht erklären, verstehen nicht, was das Problem der Mitarbeitenden ist. Dabei liegt der Kündigungsgrund meistens auf der Hand: Die Mitarbeitenden fühlen sich nicht gesehen und wertgeschätzt. Aber Führungskräfte überschätzen, wie gut sie kommunizieren.

Mitarbeitende kündigen also, weil sie nicht genug Aufmerksamkeit bekommen?
Oberflächlich kann man das so sagen. Aber eigentlich geht es um etwas tiefer Liegendes. Jeder Mensch hat psychologische Grundbedürfnisse, die erfüllt sein müssen – auch am Arbeitsplatz. Die Basis von allem ist das Bedürfnis nach Sicherheit. Nur wer sich in seiner Arbeitsumgebung sicher fühlt, ist auch bereit Unsicherheiten oder Zweifel zu zeigen. Ist dieses grundlegende Bedürfnis nicht erfüllt – was häufig der Fall ist –, dann halten Menschen Dinge eher zurück. Gerade wenn Teams viel hybrid oder im Homeoffice arbeiten und der direkte persönliche Kontakt nicht selbstverständlich gegeben ist, fühlen Mitarbeitende sich schnell alleingelassen.

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Aber warum fällt es vielen Menschen so schwer, ihrem Chef das offen zu sagen - so schwer, dass sie sogar lieber kündigen als das Gespräch zu suchen?
Letztlich ist es die Angst davor, einen Nachteil zu haben, wenn ich sage, ich fühle mich nicht gesehen. Ein anderer Grund kann die Unsicherheit einer Person über die eigene Leistung sein, also, dass sie das Gefühl hat, keinen wertvollen Beitrag zu leisten und sich deshalb nicht traut, Kritik zu äußern. Wir haben in Deutschland ein Wertschätzungsdefizit: 45 Prozent der Mitarbeitenden, die kündigen, tun das aufgrund mangelnder Wertschätzung durch den direkten Vorgesetzten. Dieses Gefühl ist also nichts Banales, sondern kostet Unternehmen sogar Geld.

Wenn sich Beschäftigte nicht trauen über Wertschätzung zu sprechen, was sagen sie stattdessen, wenn sie kündigen?
Sie schieben vor, das Umfeld habe nicht gepasst oder die Ziele seien nicht klar genug definiert gewesen. Das ist sehr allgemein und nichts, woraus die Führungskraft lernen kann. Deshalb würde ich hier konkret nachfragen: Was hast du denn vermisst? Was hättest du gebraucht, um zufriedener im Team zu sein? Welches Bedürfnis wurde nicht erfüllt? So ein offenes Gespräche sollte idealerweise natürlich nicht erst stattfinden, wenn es schon zu spät ist.

Wie können Chefinnen und Chefs denn dazu motivieren, Ihnen gegenüber auch unangenehme Dinge anzusprechen?
Die Führungskraft muss einen Raum schaffen, in dem sich alle sicher fühlen. Dann ist die Hürde über Zweifel und Unzufriedenheit zu sprechen geringer. Das gelingt vor allem durch ehrliches Zuhören. So fühlen sich die Mitarbeitenden gehört und es kann Vertrauen entstehen. Damit steigt auch die Bereitschaft, ehrliches Feedback zu geben. Aus Sicht der Führungskraft halte ich es beim Thema Feedback übrigens für wichtig, bei den Punkten anzusetzen, wo Menschen sich weiterentwickeln und etwas beitragen können. Das klassische Loben kann problematisch sein, weil es Abhängigkeiten erzeugt. Ich würde eher empfehlen, Interesse für das zu zeigen, was die Mitarbeitenden tun, nachzufragen, wie jemand auf eine Idee gekommen oder an etwas herangegangen ist.

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Woher weiß ich als Führungskraft, ob meine Kommunikation beim Mitarbeitenden angekommen ist?
Das ist ein wichtiger Punkt, weil die Führungskraft meistens denkt, sie hätte sehr transparent und offen kommuniziert - bei den Mitarbeitenden ist die Botschaft aber gar nicht so angekommen, wie sie sich das vorgestellt hat. Der erste Tipp ist deshalb, einfach mal nachzufragen: Könnt ihr mal zusammenfassen, was bei euch angekommen ist? Was habt ihr verstanden? Im zweiten Schritt kann man dann erklären, was man versucht hat zu vermitteln und was vielleicht verloren gegangen ist. Durch so eine Rückkopplung lassen sich viele Missverständnisse schnell aufklären. 

Und Tipp Nummer zwei?
Tipp Nummer zwei ist Selbstreflexion, also gezielt darauf zu achten, was man sagt. Ist es zu kompliziert oder zu oberflächlich? Muss ich deshalb vielleicht damit rechnen, dass es vom Gegenüber nicht so aufgenommen wird wie ich eigentlich will? Um seine Mitarbeitenden zu verstehen, kann es auch hilfreich sein, einmal die Perspektive zu wechseln und den eigenen Mitarbeiter als Kunden zu betrachten, als Kunden für das Produkt Arbeitsplatz. Da wird deutlich: Man möchte ja nicht nur, dass die Person zufrieden ist, sondern sie soll wirklich begeistert sein und ein tolles Erlebnis haben. Das ist zu großen Teilen die Verantwortung der Führungskraft.

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