"Die Chefin" Katharina Böhm im Interview: "Ich mag Menschen wirklich gern – Arroganz verachte ich allerdings"
Seit 2012 steht Katharina Böhm (61) als Kommissarin Vera Lanz für das ZDF vor der Kamera: Die Ermittlerin ist klug, durchsetzungsstark und verletzlich. Mit "Die Chefin" hat die im Raum München lebende Österreicherin eine markante Frauenfigur geschaffen, die längst zur festen Größe im deutschen Krimiprogramm geworden ist. Acht neue Folgen gibt es ab Freitag, 2. Januar, 20.15 Uhr, zu sehen. Die 100. Folge ("Schattenkrieger") wird am Freitag, 16. Januar, ausgestrahlt. Im Interview spricht die Tochter des österreichischen "Sissi"-Stars Karlheinz Böhm über die Herausforderungen, als alleinerziehende Mutter und Serienstar gleichermaßen präsent zu sein, über das Durchhalten in einer immer noch oft männerdominierten Branche und darüber, wie sich die Anforderungen an Frauen im Fernsehen in den letzten Jahrzehnten verändert haben.
teleschau: Frau Böhm, sind Sie eigentlich selbst Krimi-Fan?
Katharina Böhm: Ja, ein bisschen. Momentan sehe ich eher englische Krimis an. Beispielsweise liebe ich "Slow Horses". Das ist allerdings eher ein Thriller, den ich im Moment mit großem Vergnügen schaue. Aber ein waschechter Krimi-Fan war ich eigentlich nie.
teleschau: Aber bekennender Serien-Junkie.
Böhm: Ja! Neben "Slow Horses" warte ich auch auf die neuen Folgen von "Stranger Things". Die ersten vier Folgen der Staffel sind zwar schon draußen, aber ich kann erst starten, wenn alles auf dem Markt ist, sonst werde ich ganz hibbelig (lacht).
"Diese menschlichen Abgründe sind doch sehr weit weg von mir"
teleschau: Wenn Sie sich an die Anfänge von "Die Chefin" erinnern – ahnten Sie, dass diese Reihe so ein Dauerbrenner wird?
Böhm: Nein. Wir fingen 2010 an, darüber zu reden, 2011 wurde dann gedreht – und schon vom ersten Gespräch bis zum ersten Drehtag war alles ganz anders als gedacht, wie so oft im Leben. Auch meine erste Regisseurin bei "Die Chefin", Maris Pfeiffer, hat die Figur anders angelegt, als ich es geplant hatte. Mit ihr, der Produzentin Susanne Flor und den Regisseuren Michael Schneider und Florian Kern wurden die Grundfesten der Rolle gelegt – und dafür bin ich sehr dankbar.
teleschau: Das heißt, Sie schreiben an den Drehbüchern mit?
Böhm: Das ist übertrieben. Ich schreibe insofern mit, als dass ich an meiner Rolle herumpople, wie man so schön sagt. Ich kenne Vera Lanz einfach besser als die meisten Autoren, die vielleicht noch nicht so lange Teil des Teams sind, weil es da immer wieder Wechsel gibt.
teleschau: Wie gelingt es nach so langer Zeit noch, die Distanz zur Rolle und den auch oftmals schweren Themen der Reihe zu wahren?
Böhm: Das fällt mir sehr leicht, weil die Themen so absurd sind. Ein Mord ist für mich unvorstellbar. Und obwohl ich als "Chefin" schon einige Leute erschossen habe, sind diese menschlichen Abgründe doch sehr weit weg von mir. Auch die Polizei-Sprache mit Obduktionsberichten und Pathologien nehme ich nicht mit nach Hause – mein Mund muss sich da jedes Mal so verrenken, das sage ich am Set schon alles nicht so gern.
"Ich stelle mir nur ungern die Frage, was alles noch passieren könnte"
teleschau: Viele Schauspielerinnen und Schauspieler berichten, dass Langzeitrollen Fluch und Segen zugleich sein können: Macht Ihnen der Erfolg von "Die Chefin" manchmal auch Angst?
Böhm: Ich vermeide grundsätzlich Konjunktive und stelle mir nur ungern die Frage, was alles noch passieren könnte. Dass ich beispielsweise in keiner anderen Rolle so aufblühen könnte, ist also nicht meine Angst. Eher fürchte ich, in der Rolle als Vera bequem zu werden. Deshalb arbeite ich ständig daran, die Lanz weiterzuentwickeln und noch mehr rauszuholen. Was kommt oder nicht kommt, kann ich ohnehin nicht beeinflussen.
teleschau: Haben Sie sich also noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wie lange Sie Vera Lanz noch treu bleiben wollen?
Böhm: Nein, ich versuche, im Moment zu leben. Natürlich frage ich mich manchmal, wie es sein wird, wenn ich alt bin, und ob ich dann noch arbeiten werde. Wahrscheinlich werde ich arbeiten müssen, aber man kann sich auch zu viele Gedanken darüber machen. Ich versuche einfach, jeden Tag aufs Neue zu nutzen.
teleschau: Als Publikumsliebling steht man auch in der Kritik. Was nehmen Sie ernst – und bei welchen Punkten denken Sie: "Das juckt mich nicht"?
Böhm: So viel vorneweg: Ich habe keine Social-Media-Accounts, bin aber manchmal doch neugierig und schaue rein. Vor allem was Essen betrifft – da kann ich mir stundenlang Rezepte anschauen. Ich scrolle am liebsten durch Rezepte und Kochvideos.
teleschau: Die Sie dann auch nachkochen?
Böhm: Ja, natürlich. Was Kritik betrifft, juckt es mich nicht, wenn fremde Leute im Netz etwas behaupten, was gar nicht stimmt – die kenne ich ja nicht. Es gibt zum Beispiel Leute, die behaupten, ich würde übellaunig sein oder trinken. Das ist einfach absurd. Das ist so weit weg von der Realität, dem schenke ich nur ein müdes Lächeln. Kritisch wird es eher, wenn jemand, den ich kenne, mir etwas an den Kopf wirft – das kann wehtun. Otto Schenk meinte einmal, dass man sich gute Kritiken nicht zu sehr zu Herzen nehmen darf, dann müsse man sich schlechte auch nicht so sehr zu Herzen nehmen (lacht). So streng sehe ich das nicht, aber ich freue mich, wenn Leuten gefällt, was ich mache. Am meisten schätze ich die direkte, persönliche Rückmeldung, zum Beispiel im Supermarkt. Da kommt eher selten jemand und sagt, ich sei sc****e. (lacht)
"Ich selbst habe Frauen immer als starke Weiber, wie wir in Oberbayern sagen, erlebt"
teleschau: Bei all den Krimis, die im deutschen Fernsehen laufen: Was fasziniert die Menschen so sehr daran?
Böhm: Ich glaube, das lässt sich relativ einfach erklären. Im Krimi kannst du unglaublich viel erzählen. Du kannst von der Komödie über das Drama bis hin zu Mord und Totschlag alles erzählen. Das sind die Abgründe des Menschen. Sie haben meistens sowohl mit Komik als auch mit Drama zu tun. Wir begrüßen immer wieder Gast-Darsteller, die ganz neue Facetten für alle Beteiligten mitbringen. So birgt jede Folge aufs Neue viel Potenzial.
teleschau: Der Trend zu weiblichen Hauptfiguren begann in den 1970er-Jahren mit der ersten Kommissarin im "Tatort", verstärkte sich aber erst in den letzten 15 Jahren: Was bedeutet es für Sie, schon so lange eine so starke weibliche Hauptrolle zu spielen?
Böhm: Die Leute sagen oft, ich sei die Erste gewesen. Das höre ich seit 2012 ständig. Und ja, vielleicht standen wir damals in Bezug auf weibliche Hauptrollen auch noch am Anfang. Ich weiß, dass Frauen weltweit noch nicht gleichberechtigt sind, aber ich selbst habe Frauen immer als starke Weiber, wie wir in Oberbayern sagen, erlebt. So bin ich aufgewachsen – mit starken Frauen im Umfeld meiner Mutter. Ich glaube, sie waren immer da, nur hat man ihnen in unserer Gesellschaft einfach zu wenig Gehör geschenkt. Umso besser, dass wir Frauen uns inzwischen zumindest teilweise gesehen fühlen. Aber es gibt natürlich Luft nach oben ...
teleschau: Mussten Sie sich in der Branche mehr behaupten als männliche Kollegen?
Böhm: Ganz ehrlich, nein. Ich hatte da wahrscheinlich viel Glück – und vielleicht ein Selbstbewusstsein, das anderen Frauen möglicherweise gefehlt hat. Ich kam mit zwölf in die Branche, damals wurde man als Kind noch richtig verwöhnt. Wir drehten zwar zwölf Stunden pro Tag, aber es herrschte ein starkes Familiengefühl, alle waren zauberhaft zu uns. Das war einer der Hauptgründe, warum ich den Beruf wählte – und so ging es mir eigentlich fast immer.
"Sah, wie er gelitten hat": Katharina Böhm erzählt von ihrer Kindheit mit Karlheinz Böhm als Vater
teleschau: Es ist kaum zu glauben, dass Sie keine schlechten Erfahrungen machen mussten ...
Böhm: Natürlich bin ich ein paar Arschlöchern begegnet, es gab Regisseure, die – gelinde gesagt – "nicht nett" waren. Aber insgesamt hatte ich viel Glück. Trotzdem wollte ich als Kind nie Schauspielerin werden, sondern Verhaltensforscherin. Ich bekam schon auch die Schattenseiten mit. Zum Bespiel, als mein Vater mit Fassbinder, der für seine chaotische Arbeitsweise bekannt war, gedreht hat. Das war nicht immer einfach. Ich sah, wie er gelitten hat, und als Kind bekam ich mit, dass es in dieser Welt auch Intrigen gibt. Da wollte ich nie hin.
teleschau: Gab es etwas, das Ihnen Ihr Vater mitgegeben hat, das Ihre Meinung geändert hat?
Böhm: Beide Eltern haben mir viel mitgegeben. Meine Mutter sorgte dafür, dass ich mit den Füßen am Boden blieb – sie war eine sehr unprätentiöse Frau. Mein Vater zeigte mir, dass dieser Beruf Arbeit ist und nach viel Disziplin verlangt. Beide lehrten mich, respektvoll mit jedem einzelnen Menschen umzugehen. Meine soziale Ader liegt darin begründet, wie ich aufgewachsen bin. Dafür bin ich sehr dankbar. Sie haben mir eine tiefe Menschenliebe mitgegeben – ich mag Menschen wirklich gern. Arroganz verachte ich allerdings.
teleschau: Wann hatten Sie das Gefühl gehabt, der Name Böhm ist in der Branche mehr Last als Türöffner?
Böhm: Das war 50:50, muss ich ehrlich sagen. Einige wollten in den 80-ern nichts mit mir zu tun haben, andere nahmen mich schneller wahr, weil sie meinen Namen kannten. Ich hatte das Image der reichen Tochter, aber wir waren nie reich. Wir hatten zwar ein großes Haus, aber sonst nichts. In den 80-ern war es cooler, kantiger zu sein, und ich war eher das, was viele wohl ein klassisches Mädchen nennen würden.
"Als Alleinerziehende war es anstrengend"
teleschau: Ein Mädchen, das in der Schweiz geboren wurde, ab seinem vierten Lebensjahr in München aufwuchs und auch als Frau dort seinen Lebensmittelpunkt gewählt hat ...
Böhm: Ja, mit 30 Jahren erbte ich nach dem Tod meiner Mutter das Haus in Vaterstetten mit Waldgrundstück. Das war eine echte Herausforderung. Zuvor war ich viel unterwegs und völlig frei. Plötzlich hatte ich dieses Haus. Es war zwar vertraut, aber mit der Zeit wurde mir klar, welche Verantwortung und Arbeit damit verbunden sind. Und es kostet wahnsinnig viel Geld. Trotzdem ist es ein großes Geschenk und ein echtes Privileg. Aber der Druck, es zu erhalten, gehört eben auch dazu.
teleschau: Bleiben wir beim Thema Druck: Viele Frauen stehen unter dem Druck, entweder beruflich mehr leisten zu müssen oder privat perfekt zu sein. Gab es bei Ihnen Momente, in denen Sie mit diesen Erwartungen ringen mussten?
Böhm: Nein, eigentlich nicht. Ich habe nie in Konjunktiven wie "ich müsste" oder "ich sollte" gedacht. Wenn ein Problem auftrat, dachte ich über Lösungen nach, aber nicht über Dinge, die mich nicht direkt betrafen. Das hat gut funktioniert. Als Alleinerziehende war es anstrengend, und ich musste schnell lernen, mich auf Au-pair-Mädchen zu verlassen. In den ersten drei Jahren hatte ich eine gute Infrastruktur: Die Hebamme meines Sohnes wurde auch seine Patentante und half mir in den ersten Jahren sehr, wofür ich ihr bis heute unendlich dankbar bin. Auch mit vielen Au-pairs stehe ich noch in Kontakt. Das war ein Geschenk, auch wenn es mir zunächst so vorkam, als hätte ich obendrein noch lauter 18-, 19- und 20-jährige Töchter (schmunzelt). Es gab Sonnen- und Schattenseiten, aber ich hatte das Glück, mit vielen tollen Menschen umgeben zu sein. Auch viele Filmproduktionen haben es mir möglich gemacht, Kind und Aupair mitzubringen. Dafür war ich sehr dankbar.
teleschau: Was wollen Sie jungen Frauen oder Kolleginnen gerne mit auf den Weg geben?
Böhm: Was ich allen jungen Frauen mitgeben möchte: Seid selbstbewusst, glaubt an euch. Arbeitszeit ist Lebenszeit – habt Spaß und genießt den Beruf.
"Für Neujahresvorsätze war ich nie so der Typ"
teleschau: Wie blicken Sie dem Jahresende entgegen?
Böhm: Mein erster Wunsch: weniger Böllerei. Wegen des Klimas – und wegen der Tiere. Letztes Jahr waren meine Hunde drei Tage lang völlig verstört. Was Tiere betrifft, bin ich kein Freund von Silvester. Ich verstehe das Feiern, aber ein Kompromiss wären Raketen ohne diese ständigen Knallkörper, die schon Tage vorher losgehen. Für Neujahresvorsätze war ich nie so der Typ. Greift man Anfang des Jahres nicht unnötig hoch, kann man auch nicht so tief fallen ...
teleschau: Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich mit dem Wissen von heute mit auf den Weg geben?
Böhm: Entspann dich! Bis zur Menopause scheint alles viel aufwühlender, als es letztlich ist. Ich kann nur sagen: Ich als Frau sehe in der Menopause viele Vorteile. Ich genieße mein Leben jedenfalls momentan sehr.
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