Die bekannteste Perücke der Republik wird 60. Doch auch an seinem runden Geburtstag gibt Atze Schröder immer noch Rätsel auf.

Hugo Egon Balder (75) bescheinigte ihm einst "null Talent". 30 Jahre später liebt die ganze Republik den Mann mit dem Minipli und der Piloten-Brille. Vom Kleinkind bis zum Rentner: Keiner kann sich Atze Schröders charmanter Blauäugigkeit entziehen. Zum 60. Geburtstag des Komikers bleiben dennoch Fragezeichen. Wie hat es die Kunstfigur Atze bis ins Herz der Deutschen geschafft? Welche tragische Lebensgeschichte verbirgt sich hinter Perücke und getönten Gläsern? Warum fährt der wahre "Atze" lieber Fahrrad als Porsche? Und warum soll niemand wissen, was in seinem Ausweis steht?

Von feinen Persönlichkeitsschichten umgeben

Die Annäherung an den Menschen hinter der lockigen Kunstfigur erzeugt anfangs Schwindelgefühle wie nach der Fahrt im Kettenkarussell auf der Cranger Kirmes. Das liegt an den zahlreichen, feinen Persönlichkeitsschichten um "Atze Schröder", die er nur zögerlich öffentlich freilegt. Vielmehr füttert er seit Mitte der 90er Jahre die fiktive Biografie seines Ruhrpott-Prolls weiter. In der Folge verschwimmen beide Lebensläufe munter ineinander. Wer ist wer? Und wer sagt was? So zugänglich sein Humor, so offensichtlich seine Erfolge und so unbestreitbar seine Beliebtheit bei den Massen auch sein mögen: Der Mann, der Atze Schröder ist, machte es lange all jenen schwer, die ihm noch näherkommen wollen.

Making of Atze dank großer Schwester

Dabei könnte alles so einfach sein. Ein Jahr nach seiner Geburt 1965 zog der Atze-Darsteller mit seiner Familie ins Münsterland nach Emsdetten um. Dort wuchs er in bescheidenen, aber behüteten Verhältnissen inmitten einer sehr musikalischen Familie auf. Seine zwei Jahre ältere Schwester, die seit 40 Jahren in den USA lebt, nannte ihn einst "Atze", er sie "Keule". Sie ließ ihn in Strumpfhosen à la Nurejew zu Klaviermusik tanzen, wie er im Gespräch mit Gregor Gysi (77) verriet. Damals unterhielten sich die Geschwister im Spaß darüber, warum Typen mit Minipli und Proll-Manieren "immer die guten Frauen abkriegen". So hoben sie die Kunstfigur Atze Schröder aus der Taufe.

Solo-Durchbruch 1996 mit Witzen des Vaters

Zu seinem Vater pflegte er bis zu dessen Tod 1987 eine besonders enge Beziehung. Von ihm übernahm er nicht nur die Liebe zur Musik - Atze wurde mit dreizehn Jahren Schlagzeuger -, sondern auch ein unverwüstliches Arsenal an Witzen, das später seine Comedy-Karriere begründete: "Mein Vater war ein Günter-Pfitzmann-Typ, der kannte jeden Witz dieser Welt", wie er im Gespräch mit Ingmar Stadelmann (45) enthüllt. 1996 war er mit seinem Blödel-Trio "The Proll" für die Kieler Woche gebucht. Der Haken: Kurz zuvor hatten sich die drei getrennt. In der Erwartung "vor dreihundert besoffenen Seglern" zu spielen, fuhr er allein nach Kiel.

Dort sah er sich plötzlich 10.000 erwartungsvollen Zuschauern gegenüber - und meisterte den Abend dank des Witze-Repertoires seines Vaters mit Bravour. Atze wurde für eine ausgedehnte Live-Tour gebucht und erhielt ab 1999 seine eigene Comedy-Serie "Alles Atze" bei RTL. Die Schattenseite: Damals meinten es einige Fans zu gut. Sie feierten jeden Freitagabend Partys nach "Klein-Wacken"-Art vor seinem früheren Zuhause in Emsdetten. Seither sind ihm sein Privatleben und seine wahre Identität besonders heilig. Regelmäßig setzt er sich gegen all jene zur Wehr, die seinen bürgerlichen Namen nennen oder ihn ohne Perücke zeigen wollen: "Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Entweder du gehst dagegen vor oder du musst damit leben."

"Wie die Typen, über die ich mich lustig mache"

Bereits Ende 1997 trat er im damaligen Comedy-Olymp "RTL Samstagnacht" auf. Noch freudetrunken von seiner Performance besuchte ihn Producer Hugo Egon Balder in seiner Garderobe. Wohlmeinend gab ihm der Comedy-Godfather den Rat: "Lass es, du hast null Talent", so Atze bei "Riverboat" 2022. Der Rest ist Comedy-Geschichte. Atze eilte in den Nullerjahren von Rekord zu Rekord und füllte, noch weit vor Mario Barth und Co., Hallen mit fünfstelliger Zuschauerzahl. Wenn er nicht gerade als Stand-Upper auftrat oder einen Comedy-Preis entgegennahm, dann moderierte er die Preisverleihung eben selbst. In jenen Jahren fuhr der Porsche-Proll von der Bühne privat tatsächlich mal ein Zuffenhausener Produkt - aber nur kurz: "Ich stand mit dem Wagen an einer Ampel, sah mich in einem Schaufenster und dachte: 'Jetzt sehe ich genauso bescheuert aus, wie die Typen, über die ich mich lustig mache.'"

"Bis Mitte achtzig - dann erhöhe ich das Pensum"

Ein eigenes Auto besitzt der Atze-Darsteller heute nicht mehr, er fährt lieber Rad. Gelegentlich leiht er sich den japanischen Kleinwagen seiner "Perle". Beide leben seit mehr als fünf Jahren in Hamburg: "Wir haben uns eine barrierefreie Wohnung gekauft, das sagt alles", so der Comedian. Atze Schröder hat die Kontinuität, die Ruhe und die Einfachheit des Glücks zu schätzen gelernt. Nur gelegentlich überkommt ihn eine - eher irrationale - Existenzangst: "Ich stamme aus einer armen Familie. Da wird man die Angst nie ganz los, dass man irgendwann ohne Kohle dasteht." Danach gefragt, wie lange er noch auftreten wolle, antwortet er deshalb scherzhaft: "Ich mache das wahrscheinlich bis Mitte achtzig - dann erhöhe ich das Pensum." Die Zuversicht für solch kühne Aussagen bezieht er aus seiner vererbt positiven Lebenshaltung: "Ich schiebe morgens den Vorhang zur Seite und freue mich auf den Tag. Das ist das, was mir meine Eltern mitgegeben haben. Das Talent zum Glücklichsein."

"In Ruhe in Vergessenheit geraten"

Perücke und Brille sind Atzes Konstanten. Der Mensch darunter hat sich im Lauf der Jahrzehnte stetig weiterentwickelt. Machte er vor Jahren noch Werbung für fleischliche Bratwürste, ernährt er sich heute vegan, wie er im Podcast "Plantbased" bekennt. Mit der Stiftung Naturschutz pflanzte er im Kreis Bad Segeberg 10.000 Bäume zum so genannten "Atze-Wald". Seinen bei Günther Jauch (69) erspielten Gewinn von 500.000 Euro spendete er der Organisation "Madamfo Ghana", die sich in Ghana für die Bekämpfung der Kindersklaverei einsetzt. Inzwischen stehen dort mehrere von Atze Schröder initiierte Schulen. Schröder bekennt sich zu eigenen Therapie-Sitzungen, in denen er seine teils tragische Familiengeschichte aufgearbeitet hat. Im Gespräch mit Ingmar Stadelmann spricht er von mehreren Suiziden innerhalb der Verwandtschaft. Der äußerst erfolgreiche Podcast "Betreutes Fühlen" mit dem befreundeten Psychologen Leon Windscheid (36) ist ausdrücklich tiefergehenden Themen gewidmet.

Seine wirkungsvollste Katharsis vollzog er am 6. Februar 2020 bei "Markus Lanz." Als Sohn eines Wehrmachtssoldaten begegnete er dort der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi (92). Von seinen Gefühlen übermannt ging er auf Szepesi zu und entschuldigte sich stellvertretend: "Es tut mir leid." Nie in den vergangenen dreißig Jahren war der Mensch hinter Atze Schröder für alle Augen so offen sichtbar. Dieses Schlüssel-Erlebnis hat ihn zu seiner Autobiografie "Blauäugig" inspiriert und ihn Demut gelehrt: "Wenn ich mal umkippe, will ich in Ruhe in Vergessenheit geraten." Zum Glück ist bis dahin noch viel Zeit.

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