"Dieser Film wollte gemacht werden"
"Gegen die Wand", "Der Goldene Handschuh" oder "Rheingold" - Fatih Akin gehört zu den besten Regisseuren Deutschlands und widmet sich immer wieder außergewöhnlichen Figuren und Geschichten. Nun kommt nach "Tschick" erneut ein Coming-of-Age-Drama des Hamburgers ins Kino, wenn auch mit einem gänzlich anderen Angang.
"Amrum" erzählt die wahre Geschichte des zwölfjährigen Hark Bohm, der kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs mit seiner Mutter auf eben jener Nordseeinsel lebt. Der Film, der bereits Mitte Mai beim Filmfest in Cannes Premiere feierte, wurde kürzlich für die Auswahl des deutschen Beitrags für die Oscars 2026 eingereicht.
Im Interview mit ntv.de spricht Fatih Akin über die Zusammenarbeit mit dem inzwischen 86-jährigen Hark Bohm, die Tücken der Nordsee und darüber, was das alles mit heute zu tun hat.
ntv.de: Reden wir gleich mal über Hark Bohm, der der zentrale Part deines Films ist. Wie würdest du euer Verhältnis beschreiben - vor dem Film und nach der Arbeit daran?
Fatih Akin: Hark ist mein ältester Freund - nicht mein längster, aber mit seinen 86 Jahren eben der älteste. Wir sind schon lange eng verbunden, privat wie beruflich. Unsere Freundschaft ist sehr ebenbürtig. Klar, er weiß mehr über das Leben, ich vielleicht andere Dinge über das Filmemachen. Aber es ist ein Geben und Nehmen. Das Bedauerliche ist, dass ich ihn gerade nur selten sehe. Er verlässt nicht oft das Haus und war leider zu schwach, um in Cannes dabei zu sein. Dabei wäre er so gern gekommen. Ich würde ihm gern mehr Zeit schenken, doch ich stecke schon wieder mitten im nächsten Film.
Wie hat Hark Bohm reagiert, als er den fertiggestellten Film gesehen hat?
Sehr emotional. Er sah zuerst eine frühe Schnittfassung, die ihn schon sehr bewegte. Später dann den fertigen Film - er war in Tränen, begeistert und hat mir im wahrsten Sinne die "Bestnote" gegeben. Als Filmprofessor weiß er schließlich, wie man so etwas bewertet.
Am Ende sieht man ihn auch kurz selbst in einer Szene. Wann ist die entstanden?
Das war tatsächlich die allererste Aufnahme für den Film, vor gut zwei Jahren. Da war er schon angeschlagen, und ich dachte: Lass uns lieber jetzt zusammen nach Amrum fahren und drehen, bevor es vielleicht nicht mehr möglich ist. Ich habe mit ihm mehrere Szenen gedreht, auch Gedichte. Am Ende blieb die Szene, die nun den Schluss bildet - die erste wurde zur letzten.
Wie habt ihr inhaltlich zusammengearbeitet? Hatte Hark Bohm noch Einfluss auf Dinge wie Bildgestaltung, Dialoge, Struktur?
Hark hatte eine erste Drehbuchfassung von 260 Seiten geschrieben, per Hand, abgetippt von seiner Frau. Doch das war nicht umsetzbar. Ab der 5. Fassung überließ er mir das Drehbuch-Ruder. Ich habe viel gekürzt, Szenen wie die berühmte Butterbrot-Anekdote herausgearbeitet - daraus ist erst der Film entstanden. Das war nicht immer einfach, denn der Autorenfilmer in ihm hätte wohl am liebsten alles selbst entschieden. Aber er hat mir vertraut. Zwei Wünsche hatte er: den Kameramann Karl Walter Lindenlaub und die Kostümbildnerin Birgit Mir. Die habe ich übernommen - und das war goldrichtig. Von Lindenlaub habe ich unglaublich viel über Licht gelernt.
Du hast einmal gesagt, du willst Deutschland nicht den Nazis überlassen. Ist aus dieser Idee heraus auch dieser Film entstanden oder hat sie ihn zumindest geprägt?
Absolut. Ich glaube an Filmgötter und Fügungen. Dieser Film wollte gemacht werden, weil er eben auch hochaktuell ist. Mich hat immer beschäftigt: Wie lebt man mit Nazis in der Familie? Wie mit Eltern, deren Weltanschauung man nicht teilt, die man dennoch liebt? Das ist universell - nicht nur deutsch, das kennt man genauso in Argentinien, den USA oder in türkischen Familien.
Die Geschichte wird aus Sicht des Zwölfjährigen erzählt, was die Herangehensweise an das Thema besonders macht …
Mir ging es nie darum, Empathie für Täter zu erzeugen. Die Kamera bleibt auf Augenhöhe des Jungen. Er ist noch kein Täter - es geht um den Verlust von Unschuld. Das Entscheidende ist, die Liebe zwischen Sohn und Mutter glaubhaft zu zeigen. Ohne das gibt es kein Drama.
Wie kam Laura Tonke als komplexe Mutterfigur ins Spiel?
Meine Frau, die auch meine Casterin ist, machte den Vorschlag. Wir hatten kurz zuvor einen Film mit Laura gesehen. Ihre Performance hat uns beeindruckt. Laura bringt eine gewisse Schrulligkeit mit, eine charmante Verrücktheit, die nie laut, aber immer spürbar ist. Das macht die Figur für mich greifbar, ohne sie zu verharmlosen. Ich wollte keine guten Nazis zeigen, aber man muss verstehen, warum das Kind seine Mutter liebt.
Auch Jasper Billerbeck als junger Hark beeindruckt. Wie bist du auf ihn gestoßen?
Das war ein Glücksfall. Unsere Kinder-Casterin suchte keine Großstadtkinder, sondern naturverbundene. Jasper fiel mir sofort auf - optisch und in seiner Natürlichkeit. Zusammen mit seinem Film-Schulfreund Kian entstand eine unglaubliche Chemie. Wichtig war mir, dass das Publikum nicht sofort Sympathie geschenkt bekommt. Jasper musste sie sich mit der Rolle erarbeiten.
Inwiefern hat Amrum selbst die Dreharbeiten beeinflusst?
Sehr. Die Tide ist ein starkes filmisches Bild - Zeit und Bewegung zugleich. Aber schwer zu bändigen. Für die Ertrinken-Szene hatten wir nur einen einzigen Tag, weil die Springtide passte. Die Kameras mussten ohne Schutzgehäuse ins Salzwasser - ein Risiko von 60.000 Euro. Aber diese Bilder musste ich haben.
Im Film spielen ein paar bekannte Regisseure kleinere Rollen: Detlev Buck, Lars Jessen und Jan Georg Schütte. Wie kam es dazu?
Es war eine Mischung aus Hommage und pragmatischer Besetzung. Lars ist mein Nachbar und politisch sehr klar, den musste ich einfach drin haben. Detlev ist für mich ein norddeutsches Ur-Gestein, Jan Georg auch, den hat meine Frau vorgeschlagen. Und nebenbei: Wenn ich ausgefallen wäre, hätte ich gleich mehrere Ersatzregisseure am Set gehabt. (lacht)
Mit Fatih Akin sprach Nicole Ankelmann
"Amrum" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
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