Romantisierte Milieustudie über eine "fast intakte Familie"
"22 Bahnen" zählte 2023 zu den erfolgreichsten Young-Adult-Romanen und kommt jetzt mit Luna Wedler als Tilda ins Kino. In dem leisen Sozialdrama muss die Mathematik-Studentin weitreichende Entscheidungen treffen, um sich freizustrampeln.
Gleich mit ihrem ersten Roman gelingt Caroline Wahl 2023 der Durchbruch als Autorin. "22 Bahnen" verkauft sich bis heute rund eine Million Mal, und die damals 28-Jährige Autorin erhält dafür diverse Buchpreise, darunter den der Stiftung Ravensburg Verlag und den Ulla-Hahn-Autorenpreis. Zwei Jahre später legt sie mit "Die Assistentin" nun ihr mittlerweile drittes, nicht ganz so euphorisch besprochenes und doch die Bestsellerlisten anführendes Buch vor. Jetzt kommt ihr Young-Adult-Debüt "22 Bahnen" auch noch als Film ins Kino.
Wer kennt ihn nicht, den wohl meist gesagten Satz nach dem Schauen einer Romanverfilmung: "Also das Buch hat mir besser gefallen." Vermutlich wird er auch im Falle von "22 Bahnen" das eine oder andere Mal fallen, denn oft ist die eigene Fantasie zufriedenstellender als die jener, die für so eine Kinoproduktion verantwortlich zeichnen.
Luna Wedler ist die perfekte Besetzung
Allerdings machen Drehbuchautorin Elena Hell und Regisseurin Mia Maariel Meyer sowie die übrigen Gewerke vieles richtig. Das geht schon beim Casting los. Meist ist die Enttäuschung groß, weil sich vor allem die Besetzung so gar nicht mit den Bildern im Kopf vereinbaren lässt. Doch mit Luna Wedler, Laura Tonke, Jannis Niewöhner und Nachwuchsstar Zoë Baier bleiben an der Stelle wohl nur wenige Wünsche offen.
Der Alltag der sich in ihren 20ern befindenden Tilda (Wedler) folgt einem strikten Zeitplan, der nur wenig Abweichungen zulässt. Denn neben dem erfolgreichen Studium der Mathematik und dem Job an der Supermarktkasse muss sie sich auch noch um ihre zehnjährige Halbschwester Ida (Baier) sowie den gesamten Haushalt kümmern. Dazu gehört auch ihre alkoholkranke Mutter (Tonke), die die größte Belastung im Chaos darstellt.
Tilda zwischen den Stühlen
Währenddessen gehen Tildas Freundinnen und Freunde längst ihre eigenen Wege. Einzig mit dem täglichen Besuch des Freibads gönnt sich auch Tilda einen Moment für sich, den sie bei Regen nur mit Ida teilt. Und dann ist da noch Viktor (Niewöhner), der aus einem bestimmten Grund in die Kleinstadt zurückkehrt und ihr fortan nicht mehr aus dem Kopf geht. Aus Gründen, die sich erst nach und nach in Rückblenden aufblättern.
Als sich die Option auf eine Promotionsstelle im weit entfernten Berlin auftut, ist Tilda geneigt, diese Chance abzulehnen, um weiter für Ida da sein zu können. Sie würde damit aber wohl auch auf einen bessere Zukunft und ein freies, selbst bestimmteres Leben verzichten - und sitzt somit zwischen den Stühlen. Obendrein hat sie mit einer schmerzhaften Erinnerungen und einer große Portion Schuldgefühle zu kämpfen, die durch Viktors Erscheinen noch verstärkt werden.
Ein fast romantisches Sozialdrama
Erzählt ist die Geschichte von Tilda in stimmungsvollen Bildern auf eine zurückhaltende, aber auch recht konventionelle Art. Immer wieder sagt ein Bild oder ein Blick das, was im Buch mehrere Sätze benötigt. Sind die Umstände auch die eines Sozialdramas, hat "22 Bahnen" dennoch etwas Leichtes, etwas Romantisiertes, das die Lust aufs Leben, die Tilda trotz aller Schwere und Fragilität verspürt, unterstreicht.
Es bleibt angesichts der tragischen Lebensumstände nicht aus, dass an der einen oder anderen Stelle auch mal auf die Tränendrüse gedrückt wird, was der sonst durchaus authentischen Milieustudie einen Hauch von Kitsch verleiht. Doch diese Momente sind rar gesät. Ein bisschen zu unemotional wirken dafür die Beziehungen zwischen Tilda und Viktors Bruder Ivan in den bereits erwähnten Rückblenden und zwischen ihr und Viktor selbst.
"22 Bahnen" ist alles in allem ein hübscher Film über eine junge Frau zwischen den Welten, die sich als Identifikationsfigur für ihre Generation bestens eignet, auch wenn einiges an der Wasseroberfläche bleibt und echter Tiefgang fehlt. Es ist dennoch durchaus möglich, dass Caroline Wahls Nachfolgeroman "Windstärke 17" mit der erwachsen gewordenen Ida im Mittelpunkt - vermutlich abhängig vom Erfolg des aktuellen Streifens - irgendwann ebenfalls seinen Weg in die Kinos findet.
"22 Bahnen" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
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