Wenn Tarantino auf die Olsenbande trifft
"Der Fotograf" ist auf der Suche nach dem perfekten Bild. Jedes Jahr, genau einmal, seit Jahren. Für die Polizei ist er ein Serienmörder - für die kleine Maria die einzige Hoffnung. Denn nur er hat ihre Entführung beobachtet. Seine Mission ist nun eine andere. Aber: kein Wort zu "Jemand".
"Ich bin am 4. September geboren. Im Spätsommer. Sternzeichen: Jungfrau. Damit bin ich Perfektionist, Analytiker und Realist." Und er ist der "Fotograf": Auf der Suche nach dem perfekten Foto macht er jedes Jahr ein Bild, genau einen Abzug, den er dann mit einem Echtheitszertifikat an den Meistbietenden im Darknet verkauft. Für die Polizei und die breite Öffentlichkeit ist der "Fotograf" ein Serienkiller, ein Sadist, denn er ermordet Frauen und inszeniert ihren Tod mit der Kamera.
Aber der "Fotograf" ist auch ein Familienmensch, hat eine Tochter, die er über alles liebt. Als er gerade den Ort für sein neues Bild inspiziert, wird er Zeuge, wie ein kleines Mädchen in einen Range Rover steigt. Ein älterer Mann mit Hut, vielleicht der Opa der Kleinen, redet auf sie ein. Kurz darauf ist das Auto verschwunden, nur eine Visitenkarte liegt auf dem Parkplatzboden. Der Fotograf hebt sie auf, denkt sich nichts dabei - bis in den Medien über das Verschwinden der kleinen Maria berichtet wird, eine Entführung. Es ist das Mädchen aus dem Range Rover.
Der Fotograf muss nicht lange nachdenken: Er macht sich auf die Suche nach Maria. Die gefundene Visitenkarte liefert eine Spur. Sie gehört einer Wahrsagerin. Die Zeit rennt - sowohl für Maria, als auch für den Fotografen selbst, denn die Polizei ist ihm auf der Spur. Endlich, nach Jahren der erfolglosen Suche, scheint sie ihm habhaft werden zu können. Die Stadt, in der er sein neuestes Bild inszenieren will, ist Chemnitz. Da sind sich die Ermittler sicher.
Drogen, Stasi, Helden von nebenan
Was dann folgt, ist ein aberwitziger Thriller aus dem Kopf des Bestsellerautors Elias Haller. Der Titel des Werks, als Hörbuch bei Audible erschienen und von Genreikone Peter Lontzek intoniert, kommt so unscheinbar daher, wie die Hauptfigur selbst. Zumindest auf den ersten Blick: "Jemand". Als solcher betitelt sich der Fotograf selbst im Darknet. "Kein Wort zu Jemand" ist da etwa zu lesen.
Aber genau dieser "Jemand" ist der Held des Buches. Obwohl er Frauen tötet und als Serienkiller verschrien ist? Ja. Nein, ich meine Jein. In dieser Hinsicht mehr zu verraten, wäre eine Frechheit meinerseits. Das Geheimnis des "Fotografen" soll der Hörer selbst lösen. "Jemand" ist es auf alle Fälle wert, tiefer einzusteigen, genauer hinzuhören, den Nuancen von Lontzeks Stimme zu lauschen - und sich an den weiteren Figuren der Story zu ergötzen.
Der Ort der Handlung, Chemnitz, ist wohl gewählt. Eine Stadt in der Provinz, nahe der tschechischen Grenze, eine Stadt mit Vergangenheit und einer wabernden Zukunft, europäische Kulturhauptstadt hin oder her. Als Hörer macht man Bekanntschaft mit den Alltagsproblemen der Jugend in Ex-Karl-Marx-Stadt. Man lernt ein Geschwisterpärchen kennen, das versucht, trotz Drogensucht und ständiger Geldnot irgendwie über die Runden zu kommen. Man stößt auf einen älteren Polizisten, der bärbeißig daherkommt, nicht über seine familiären Probleme spricht und dennoch von Grund auf sympathisch ist. Es gibt einen zwielichtigen Hotelbesitzer, einen Stasi-Groupie mit einem Gewaltproblem und zwei Kumpanen, bei denen man unweigerlich an die "Olsenbande" denken muss, wenn diese von Quentin Tarantino inszeniert worden wäre.
Es geht um dunkle DDR-Vergangenheiten, düstere Kapitel, deren Schilderungen selbst Sebastian Fitzek schlaflose Nächte bereiten dürften, Stichwort: - Achtung, Spoileralarm! - "Roter Hammer". Das sorgt für eine durchaus beklommene Stimmung, die aber immer wieder durch scharfe Dialoge und Wortwitz sowie schwarzen Humor aufgebrochen wird. "Jemand" zu hören, macht einfach Spaß! "Jemand" ist die Hörbuchempfehlung für den Sommer. Ganz analytisch und realistisch betrachtet. Ich bin übrigens auch im September geboren.
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