«Bereit für die Kiss Cam?» – was in US-Stadien als unterhaltsames Ritual gilt, wurde jüngst für einen Tech-CEO zum medialen Albtraum. Beim Coldplay-Konzert in Foxborough, USA wurde Andy Byron, frisch zurückgetretener CEO des Softwareunternehmens Astronomer, auf der Grossleinwand eingeblendet – in Umarmung mit Kristin Cabot, der Personalchefin seiner Firma. Das Problem: Cabot ist nicht seine Ehefrau. Das Internet kochte über.

Legende: Als die Kamera auf das heimliche Paar schwenkt, weicht Kristin Cabot erschrocken zurück und bedeckte ihr Gesicht. Andy Byron duckt sich weg. Coldplay-Frontmann Chris Martin kommentierte trocken: «Entweder sie haben eine Affäre – oder sie sind einfach sehr schüchtern.» Imago/Bestimage

Die Kiss Cam als Teil des Stadionerlebnis

Traditionell scannt die «Kiss Cam» das Publikum und pickt sich zwei passende Personen aus der Menge heraus. Diese werden auf der Leinwand eingeblendet, eingerahmt von Herzchen, die Kamera zoomt näher. Ihre Aufgabe? Küssen. Ihre Beziehung? Egal. Das Publikum entscheidet, ob’s süss oder peinlich war – und reagiert entsprechend mit Jubel oder Buhrufen. Ob es sich um ein echtes Paar oder um Familienmitglieder handelt, ist dabei nebensächlich.

Das Konzept der Kiss Cam entstand in den 1980er-Jahren, als riesige Videowände das erste Mal Einzug in US-Stadien hielten. Anfangs zeigten sie Spielszenen, Werbung und jubelnde Fans. Bald wurde die Kiss Cam als eigenes Format eingeführt – ein kurzer, intimer Moment vor Tausenden als Pausenfüller. Sie wurde zum festen Bestandteil von Baseball-, Basketball- und Footballspielen – und später auch von Konzerten.

Die Kiss Cam hat es längst in die Popkultur geschafft: In der Sitcom «Modern Family» sorgt sie für peinlich-komisches Chaos, als Familienvater Phil Dunphy für die Kiss Cam von seiner Schwiegermutter Gloria auf den Mund geküsst wird – und seine Frau das Ganze live im Fernsehen mitverfolgt. Barack und Michelle Obama küssten sich 2012 unter dem Jubel der Menge bei einem Basketballspiel.

Doch neben dem Jubel und Trubel um die Kiss Cams gibt es auch ernsthafte Kritik: Die Kamera stellt Menschen ungefragt zur Schau, erzeugt sozialen Druck – und reproduziert oft heteronormative Muster. Gleichgeschlechtliche Paare? Lange Zeit unsichtbar.

Der Fall wirft Fragen auf: Wie viel Privatsphäre darf man in einem öffentlichen Raum erwarten? Ist es vertretbar, Menschen ungefragt auf einer Leinwand zu zeigen – besonders in einem so intimen Kontext?

Phil Dunphy bringt das Dilemma ironisch auf den Punkt: «The kiss cam is only supposed for the enjoyment of the people at the game. They never show that on TV. What people do in the privacy of their own sports arena should be their own business.» Zu Deutsch: Was im eigenen Stadion passiert, sollte auch dort bleiben – und nicht zur Massenunterhaltung werden.

Küsst die Schweiz auch vor Kamera?

In Schweizer Stadien ist die Kiss Cam bislang eher selten. Zwar treten Zuschauerinnen und Zuschauer bei Konzerten mit dem Kauf des Tickets in der Regel ihre Bildrechte ab – etwa über entsprechende Klauseln in den AGB. Doch man setzt hierzulande nicht auf Küssli-Nahaufnahmen.

Die Zurückhaltung mag kulturell bedingt sein – oder schlicht daran liegen, dass man hierzulande lieber Fondue beim Znacht teilt als Zärtlichkeiten auf der Leinwand. Doch mit dem globalen Einfluss US-amerikanischer Popkultur könnte sich das ändern. Ob das gut ist? Nach dem Fall Andy Byron dürfte die Debatte neu aufflammen.

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