Weltweit wird protestiert – was bringt es?
Los Angeles, Belgrad und kürzlich Tel Aviv: Bilder aus diesen Städten zeigen einprägsame Momente des Widerstands. Vermummte Menschen mit emporgestreckter mexikanischer Flagge sind in den USA zum Symbol gegen Trumps Migrationspolitik geworden.

In Serbien legen seit Monaten Massenproteste das Land lahm: Die Menschen fordern Neuwahlen. Und überall auf der Welt wird für ein Ende des Gaza-Kriegs protestiert – zuletzt auch in Israel.
Doch was bewirken diese Proteste tatsächlich? Jedenfalls scheint nichts die Präsidenten Trump, Vučić und Netanjahu vom Thron stossen zu können. Sie agieren teils wie Autokraten, erklären die Proteste als vom Ausland gesteuert (Serbien) oder verhängen Versammlungsverbote (USA).
Früher war mehr Verbindlichkeit
Warum politische Proteste zwar zunehmen und zeitweise stark anschwellen, jedoch nichts am Status Quo verändern – dazu hat der belgische Historiker Anton Jäger eine Idee.
Jäger spricht von einem «Protestjahrzehnt». Man erinnere sich an die von Greta Thunberg angeführten Klima-Proteste, an die «Black Lives Matter»-Bewegung, die von den USA nach Europa schwappte, oder auch an die Anti-Corona-Proteste hierzulande. In den sozialen Medien wird mobilisiert, auch Petitionen und offene Briefe sind dort schnell geteilt. Heute ist alles hochpolitisch. Doch ändert sich auch etwas?

«Ich habe bemerkt, dass sich soziale und politische Machtverhältnisse nicht stark verschoben haben», sagt Jäger. Als Beispiel nennt er die «Black Lives Matter»-Bewegung im Sommer 2020, die kaum etwas gegen die Polizeigewalt in den USA ausrichten konnte.
Eine Erklärung findet Jäger in der fehlenden Institutionalisierung der Proteste. «Es gibt wenig Engagement in Parteien und Gewerkschaften», sagt Jäger. Niemand scheine sich mehr verbindlich organisieren zu wollen. Das sei in der Geschichte schon einmal anders gewesen.
«Es gibt eine sehr wilde Phase von Massenpolitik», sagt Jäger. Er meint damit die 1920er- und 1930er-Jahre, in denen faschistische und kommunistische Systeme in Europa gross waren. «Wenn man sich damals politisch engagierte, bedeutete es, dass man einer Partei oder einer sozialen Organisation beitrat.»
Fehlende Institutionalisierung
Das änderte sich in den 1980er- und 1990er-Jahren. In Berlin fiel die Mauer, die Menschen verfolgten das politische Geschehen von der Couch aus. Jäger nennt diese Phase «Postpolitik». «Es waren nicht nur weniger Menschen in Parteien vertreten, sondern auch die Teilnahmen an Wahlen und anderen Protestaktionen war sehr niedrig.»
Während der Wirtschaftskrise von 2008 trieb die Wut viele Menschen auf die Strassen. «Aber das, was Massenpolitik auch charakterisiert, die Institutionalisierung, blieb aus», sagt Jäger. Die Phase der «Hyperpolitik», in der wir uns laut Jäger heute befinden, meint diesen Zusammenschluss: Emotionen auf der Strasse und im Netz, schwindende Mitgliederzahlen in Parteien und Gewerkschaften.
Es braucht mehr Geld
Doch genau solche Organisationsstrukturen bräuchte es, um unterschiedliche Kräfte zu bündeln und soziale Probleme strategisch zu bekämpfen. Und was muss sonst noch her? «Viel Geld», meint Jäger. Doch Umweltorganisationen oder Gewerkschaften, die Proteste mitfinanzieren, sind keine starken Geldgeber. Wenn beides fehlt – Struktur und Geld – dann seien Proteste vermutlich weniger erfolgreich.
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