Ein gut gezielter Schuss in die Vagina
Als "Ballerina" bringt Ana de Armas frischen Wind ins "John Wick"-Universum - tödlich, entschlossen und eigenständig. Denn obwohl auch Keanu Reeves sich im Spin-off zwischendurch mal blicken lässt, ist schnell klar: Protagonistin Eve kann auf eigenen Beinen stehen.
Zwei Mal standen Ana de Armas und Keanu Reeves bereits vor der Kamera - und entfalteten dabei eine durchaus interessante Dynamik. In "Knock Knock" (2015), einem Home-Invasion-Thriller von Eli Roth, spielte de Armas eine der manipulativen und verführerischen jungen Frauen, die Reeves' Figur in einen Albtraum stürzen. Kurz darauf trafen sie sich erneut in "Exposed" (2016), einem düsteren Mystery-Drama, in dem Reeves einen Polizisten spielt, der einen Mordfall untersucht, während de Armas eine Frau mit verstörenden Visionen verkörpert.
Nun schließt sich der Kreis mit ihrem dritten gemeinsamen Projekt - innerhalb eines Franchise, das Reeves selbst geprägt hat wie kein anderer: dem "John Wick"-Universum. In "Ballerina" betritt Ana de Armas als Auftragskillerin Eve die Bühne - und macht schnell klar, dass sie nicht im Schatten des wortkargen und tödlichen Einzelgängers stehen will, sondern mit brutaler Entschlossenheit ihre ganz eigene Geschichte schreibt. Mit seinem düsteren, blutgetränkten Spin-off trifft Regisseur Len Wiseman mitten ins Herz jener Fans, die von stilisierter Gewalt, geheimnisvoller Killer-Orden und abgeklärten Antiheldinnen und -helden nicht genug bekommen können.
Als neue Protagonistin Eve beweist Ana de Armas, dass tödliche Effizienz keineswegs eine Frage des Geschlechts oder des Körperbaus ist. Zwar bleibt ihre Haltung über weite Strecken des Films kompromisslos und kalt - aber je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr verschieben sich ihre Rollen im Gefüge der Gewalt: von der präzise agierenden Killerin zur Beschützerin der unschuldigen Tochter eines Berufskollegen (gespielt von Norman Reedus) bis hin zur gnadenlosen Rächerin mit persönlicher Mission. Dass sie dabei - wie John Wick - stets das Herz am rechten Fleck hat, bildet das emotionale Fundament des Films - auch wenn dieser Untergrund schon ziemlich abgegrast ist. Denn, um es vorwegzunehmen: Eves Hintergrundgeschichte ist alles andere als originell. Zeugin beim Mord am Vater, Kindheit in einem Schattenreich der Gewalt, ewiger Racheschwur - das hat man nicht nur einmal, sondern dutzendfach gesehen.
Endkampf in eisiger Kälte
Trotzdem eine kleine Zusammenfassung: Nachdem Eve ihre Eltern verloren hat, übergibt der Continental-Manager Winston (Ian McShane) das Mädchen in die Obhut der Unterwelt-Verbrecherorganisation Ruska Roma, der auch John Wick angehörte und wo sie fortan als Balletttänzerin und Auftragsmörderin ausgebildet wird. Als sie bei einem Job auf der Haut ihres Gegners das gleiche Brandzeichen erkennt, das sie als Kind am Mörder ihres Vaters sah, fasst sie den endgültigen Entschluss, sich gegen die Anweisungen der strengen Direktorin der Ruska Roma (Anjelica Huston) zu stellen und es mit dem berüchtigten Verbrechersyndikat aufzunehmen. Ihre Spur führt an einem Ort, den bislang niemand lebend wieder verlassen hat. Warum, wird bei Eves Ankunft schnell klar - ohne an dieser Stelle zu viel verraten zu wollen. Was folgt, ist ein phänomenaler Endkampf in der eisigen Kälte Österreichs.
Plotmäßig scheint sich "Ballerina" an "John Wicks" simpler, aber effektiver Prämisse zu orientieren, ohne etwas wirklich Neues hinzuzufügen. Die Story dient letztlich vor allem als Vehikel für das, worum es wirklich geht: Action. Und davon gibt es reichlich - vielleicht sogar ein bisschen zu viel. "Ballerina" überschreitet stellenweise selbst die Grenzen des Genres, so vollgestopft ist der Film mit Kämpfen, Explosionen und spektakulären Tötungsarten, ohne dass manchmal die Zeit zum Durchatmen bleibt. Dabei hebt sich die Inszenierung wohltuend vom choreographierten Ballett früherer "Wick"-Teile ab: Die Kämpfe wirken roher, emotionaler, improvisierter - wie Überlebenskämpfe, nicht wie durchgeplante Tanznummern. Das spiegelt sich nicht nur im Spiel von Ana de Armas wider, sondern wird von der Kamera kongenial unterstützt. Wiseman setzt auf eine dynamische, dichte Kameraführung, die die Gewalt in ihrer Härte erfahrbar macht.
"Kämpf wie ein Mädchen"
Dabei nutzt Eve, wie von der Direktorin treffend formuliert, ihre physischen Besonderheiten: "Kämpf wie ein Mädchen." Das ist nicht spöttisch gemeint, sondern als Stärke - sie kämpft schneller, flexibler, unberechenbarer, mit Wendigkeit und Cleverness. Ob mit Schlittschuhen als Boxhandschuhen, einem Flammenwerfer oder einem gut gezielten Schuss in die Vagina - Eve ist ebenso tödlich wie kompromisslos. Dennoch bleibt ein Widerspruch bestehen: Trotz aller Betonung der realistischen Körperlichkeit ist es schwer zu schlucken, wie Eve sich nahezu ohne Schaden durch ganze Heerscharen von ebenfalls hochtrainierten Killerinnen und Killern kämpft. Dass sie dabei kaum ernsthafte Verletzungen davonträgt, kratzt deutlich an der Glaubwürdigkeit - besonders, wenn das Überleben doch als zentrales Thema inszeniert wird.
Natürlich dürfen auch die bekannten Elemente aus dem "John Wick"-Kosmos nicht fehlen: das legendäre Continental Hotel, Ian McShane als undurchschaubarer Manager Winston, Lance Reddick in einem seiner letzten Auftritte als Concierge Charon - all das sorgt für das vertraute Setting, ohne dass "Ballerina" sich komplett in der Fan-Nostalgie verliert. Keanu Reeves taucht als Baba Yaga ebenfalls auf, spielt aber keine tragende Rolle. Seine Präsenz wirkt eher wie ein Verweis auf das größere Universum oder ein freundlicher Gruß ans Publikum. "Ballerina" aber braucht ihn nicht - Eve steht auf eigenen Beinen.
Kommt "Ballerina" an die "John Wick"-Filme heran, deren Hauptdarsteller das Publikum in sein Herz geschlossen hat, seit im ersten Teil von 2014 dessen Welpe getötet wurde? Nein - dafür fehlt dem Film der emotionale Kultfaktor. Aber: "Ballerina" ist ein würdiges Spin-off, das mit eigener Stimme spricht und einer neuen, interessanten Heldin Raum gibt. Die Story mag vorhersehbar sein, doch was ihr an Originalität fehlt, macht sie mit Energie Atmosphäre und jede Menger Action mehr als wett. Kein perfekter, aber ein solider Beitrag zur "John Wick"-Welt - und sicherlich nicht der letzte.
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