Grinsen an jeder Ampel: So fährt sich das neue Vanmoof S6
Ich soll meinem Fahrrad einen Namen geben. Für die App. Nichts lag mir bisher ferner. Mein Fahrrad war immer: mein Fahrrad. Punkt. Ein schönes, schnelles Bio-Bike ohne Firlefanz. Und Apps verwendete ich für alles Mögliche – nicht aber als Schnittstelle, um ein Zweirad zu konfigurieren. Jetzt aber hocke ich am Handy, habe die Vanmoof-App heruntergeladen, mich registriert und suche einen Namen für mein neues S6, das ich zwei Wochen lang testen werde.
Vanmoof war insolvent. Das S6 soll den Ruf wiederherstellen
Mit dem S6, Listenpreis 3298 Euro, will die 2009 in den Niederlanden gegründete E-Bike-Firma an bessere Zeiten anknüpfen. Das Unternehmen hatte mit seinen puristisch gestalteten Rädern während der Corona-Jahre einen steilen Aufstieg hingelegt. Dann folgten Probleme bei der Produktion und im Vertrieb. Im Sommer 2023 ging Vanmoof in die Insolvenz. Neuer Eigentümer wurde das britische Mobilitätsunternehmen Lavoie, eine Tochterfirma von McLaren Applied, bekannt aus dem Motorsport. Nun also: Neustart mit dem S6, von Vanmoof als "unser ultimatives E-Bike" angepriesen.
Mein Testrad kommt per Spedition zu mir nach Hause – in der Farbe "Pearl Mint", einem matten Türkis. Die Rahmengeometrie wirkt vertraut: Das typische reduzierte Design, schick, noch immer modern, längst ein Klassiker. Es gibt für das S6 nur eine einzige Rahmengröße. Vanmoof versichert, das Rad passe für alle Menschen zwischen 165 und 210 Zentimetern Körpergröße. Nun ja. Nicht umsonst machen sich andere Hersteller die Mühe, unterschiedliche Rahmengrößen anzubieten. Dennoch finde ich, ziemlich durchschnittliche 180 Zentimeter groß, schnell eine bequeme Sitzposition. Allerdings erst, nachdem ich das Rad eigenhändig endmontiert habe.

E-Mobilität E-Bike oder Motorroller – womit fährt man besser in der Stadt?
Wer auf Nummer sicher gehen will, lässt die Werkstatt schrauben
Das bekommen dank diverser Anleitungen, unter anderem auf Youtube, auch mäßig begabte Schrauber wie ich hin. Richtig gut fühlt es sich aber nicht an, als Laie Lenker, Sattel und Pedale zu montieren oder die Stromverbindung zum Nabenmotor herzustellen. Wofür gibt es Fachleute, die die Schrauben für Lenker oder Sattelstütze mit exakt dem richtigen Drehmoment anziehen? Ich habe keine Lust, mit ungesundem Halbwissen Vanmoofs Arbeit zu erledigen, aber ich muss. Also fummele ich an den Schrauben herum, im Kopf die alte Handwerkerweisheit: Nach fest kommt ab! Also nicht zu feste anziehen. Und nicht zu locker. Könnte so passen. Könnte.
Tipp Nummer 1 also: Kauf und Montage im Fachgeschäft.
Größtes Manko: der fest verbaute Akku
Die Endmontage ist geschafft. Nun noch den Akku laden. Auch das ist unter Umständen nicht ganz so einfach. Der gemeinsam mit Panasonic entwickelte Energiespeicher steckt im Oberrohr, hat 487 Wattstunden – und ist fest verbaut. Er lässt sich also nicht zum Laden entnehmen. Ich lebe in einer Stadtwohnung in einem Altbau. Es gibt einen Fahrradkeller, aber keine Steckdose. Zum Laden muss ich das 23,5 Kilogramm schwere E-Bike durch das Treppenhaus vom Keller in den ersten Stock schleppen. Was leider durch die matte Lackierung noch erschwert wird: Meine Hände wollen den Rahmen packen, rutschen aber immer wieder ab. Nicht nur der Lack ist matt, ich bin es nach dem ersten Schleppen auch.
Jetzt ahne ich, wer typischer Vanmoof-Kunde sein dürfte: ein besserverdienender Stadtmensch mit Stromanschluss am eigenen Haus, im Fahrradschuppen oder in der Tiefgarage. Wer nichts davon zu Hause hat, braucht zumindest eine Lademöglichkeit am Arbeitsplatz. Sonst wird das Leben mit dem S6 mühsam.
Tipp Nummer 2 also: Infrastruktur checken!
Nun aber endlich aufs Rad. Die App ist installiert. Ich habe mein Vanmoof schlicht "Vanny" genannt. "VanGogh" oder "VanBeethoven" schien mir irgendwie unpassend. Der Akku ist voll. Als mein S6 zum Leben erwacht, erklingt aus seinem Inneren so etwas wie "Sssse-ddddd". Oder so ähnlich. Die Entwickler sind stolz auf die digitalen Sounds, die akustisch auf unterschiedliche Funktionen oder Betriebszustände des E-Bikes hinweisen. Die unverzichtbare Fahrradklingel ersetzt ein Knopf. Auch das Klingelgeräusch wird digital erzeugt. Es kann einfach "Ping" machen, aber ich könnte auch "Ringring" einstellen oder ein Geräusch, das wie Laserschüsse aus einem uralten Videospiel klingt: "Spiuu!" Ich finde Vannys Sounds einfach nervig. Sogar ein bisschen peinlich.
Wo Hersteller bei billigen E-Bikes sparen

Der erste Schritt zum Sparen beim Kauf eines Pedelecs beginnt beim Eingrenzen der Auswahl auf den Einsatzbereich. Lebe ich in der Stadt, auf dem Flachland oder in einer eher bergigen Gegend? Will ich als Pendler täglich viele Kilometer fahren, brauche ich ein Tourenrad für Radwanderungen oder wird das E-Rad nur zum gelegentlichen Einkauf in der näheren Umgebung genutzt? Steige ich meist selbst in die Pedale und schalte den Motor nur hinzu bei Steigungen und Gegenwind? Kurz: Je anspruchsvoller der Einsatz, desto hochwertiger sollte das E-Bike sein. Und desto teurer wird es. Für das Shopping im Nahbereich reicht ein günstiges E-Bike mit Satteltaschen. Wer nahezu täglich Strecken von zehn oder mehr Kilometern fährt, womöglich noch mit Steigungen, der wird mit einem günstigen Modell nicht glücklich © Westend61
Aber ich mag das puristische Design des Rades. Es verzichtet auf ein eigenes Display, Leuchtringe am Lenker neben den Handgriffen signalisieren Akkustand und Unterstützungsstufe.
Die restlichen Infos liefert das mit der App verbundene Handy. Das klappt gut. "Döckdöckdöckdöck" tönt es, wenn ich per Knopfdruck am Griff rechts die Motorunterstützung reguliere. Vier Stufen gibt es. Ich lerne schnell, welche "meine" ist: selbstverständlich die höchste.
Die Dreigangautomatik ist ein Gedicht
Der 250 Watt starke Nabenmotor im Vorderrad mit 68 Newtonmeter Drehmoment ist in der Stadt praktisch nicht zu hören. Zu einem Fest der Vorfreude wird jede rote Ampel, denn gleich wird sie wieder grün – und dann beginnen für Vanny und mich wieder die schönsten 20 Meter der Weiterfahrt. Gelobet sei die Dreigangautomatik des S6! Auf dem ersten Meter muss das Rad in Schwung kommen. Dann aber geht es rund. Beziehungsweise: vorwärts, vorwärts, vorwärts. Notfalls mit dem Boost-Knopf, der schnell die höchste Unterstützungsstufe zur Verfügung stellt. Ich bleibe einfach immer auf Stufe vier. Knapp 60 Kilometer Reichweite habe ich bei vollem Motoreinsatz geschafft, mit weniger Hilfe soll das Rad erst nach 150 Kilometern wieder aufgeladen werden müssen. Aber wer will das schon? Das Leben ist zu kurz, um Akku zu sparen. Die Ampel springt auf Grün! Go, Vanny, go!
Erstergangzweitergangdrittergang! Nahtlose Beschleunigung, geschmeidig, lässig. Das Glück, das mir das Grinsen ins Gesicht malt, währt jedoch nicht lange, denn schon hat es Vanny auf 25 km/h gebracht. Man hat zwar nicht das Gefühl, ab dann in eine Art Geschwindigkeitsmauer zu fahren, aber das Grinsen verschwindet, weil das Spielerisch-Leichte nun plötzlich fehlt.
Konnte man das S5 noch per – natürlich illegaler – Software von der Abriegelung bei 25 km/h befreien, war das für mein S6 zum Testzeitpunkt nicht möglich. Und sonst? Licht vorn und hinter sehr gut. Ladebuchse für das Handy nicht vorhanden.
Tipp Nummer 3: Die höchste Unterstützungsstufe macht am meisten Spaß, aber bitte nicht den Akku leer fahren. Ohne Energie wird das S6 wie jedes Bike dieser Gewichtsklasse zu einem schwerfälligen Schlachtschiff.
Der Komfort reicht völlig aus
Eine Federgabel hat auch das S6 nicht, aber ich habe sie selbst auf Kopfsteinpflaster nicht vermisst. Die gefederte Sattelstütze und das satt auf der Straße liegende Rad mit seinen 27,5-Zoll-Reifen bieten genug Komfort. Schnelligkeit und Wendigkeit sind mir ohnehin immer wichtiger als ein entspannter Hintern. Dieser musste sich an Vannys relativ breiten Sattel erst gewöhnen, fand das Leben auf diesem Rad dann aber angenehm.
Nach den ersten sechs (!) gefahrenen Kilometern gibt Vanny plötzlich ein Geräusch von sich, das ganz und gar analog klingt: "Chrrr....chrrr....chrr...." Die Schutzblende des geschlossenen Kettenkastens schleift an der Pedalkurbel. Einfach Pech? Einfach ärgerlich. Später fängt eine Scheibenbremse an zu quietschen. Zwar gibt Vanmoof auf das Rad drei Jahre Garantie, aber das Netz an Händlern und Werkstätten ist vergleichsweise dünn. Also bitte auf jeden Fall vor dem Kauf informieren, wer helfen kann, sollte mal etwas begutachtet oder repariert werden müssen. Frank, der Händler meines Vertrauens, winkt sofort ab, als ich mit dem S6 in sein Geschäft komme. "An Vanmoof gehen wir nicht ran." Eigene Bauteile, besonderer Aufbau und so weiter.
Tipp Nummer 4 also: Eine Fachwerkstatt für das S6 in der Nähe ist Gold wert.
Nicht vollkommen überzeugt mich das elektronische Schloss des Fahrrades. "Kick Lock" nennt Vanmoof die Funktion, bei der man mit einem kurzen, gezielten Fußtippen in Höhe der hinteren Nabe das Fahrrad abschließen kann. Die Weiterfahrt ist dann über die App oder eine automatische Erkennung des Fahrers möglich. Zum Brötchenholen praktisch. Aber würde ich das S6 so nachts in Hamburg einfach draußen stehen lassen? Nie im Leben.
Darf man dem Diebstahlschutz vertrauen?
Immerhin: Bewegen Unbefugte das verriegelte Rad, blinken die Leuchtringe im Lenker rot auf und das S6 lässt einen Sound ertönen, der an ein warnendes elektronisches Knurren erinnert, ehe später ein richtiger, lauter Alarm losplärrt. Zusätzlich lässt sich das Vanmoof natürlich per App tracken und sperren. Gegen Aufpreis von 150 Euro für ein Jahr oder 390 Euro für drei Jahre kann man außerdem einen Service namens "Theft Proof" hinzubuchen: Sollte das Rad gestohlen werden, hilft der Hersteller bei der Suche oder stellt gar ein Ersatzbike, falls das Diebesgut nicht innerhalb von 14 Tagen wieder auftaucht.
Dennoch: Wenn das Bike wirklich gestohlen wird, ist es erst mal weg. Und auf den Stress, ohne Fahrrad in der Großstadt zu leben, kann ich gut verzichten.
Tipp Nummer 5: Wer seine Räder bisher immer doppelt und dreifach angekettet gegen Diebstahl gesichert hat, muss beim S6 wirklich umdenken. Und sich fragen: Reichen mir die Versprechungen des Herstellers?
Fazit: Gutes Rad. Aber ...
An einem grauen Novembertag fahre ich Vanny zurück zum Händler. Ich melde mich aus dem Vanmoof-System ab und deinstalliere die App von meinem Handy. Vanny und ich – wir hatten 150 Kilometer lang eine ziemlich gute Zeit miteinander. In erster Linie wegen der vielen Ampelstarts mit der automatischen Dreigangschaltung. Außerdem habe ich auf dem Weg zur Arbeit nie so wenig geschwitzt wie während meiner Liaison mit Vanny. Auf die elektronischen Sounds des S6 könnte ich gut verzichten. Der Liebe im Weg steht leider der nicht herausnehmbare Akku des Rades. Und, je nach Wohnort, das nicht besonders dichte Händler- und Werkstattnetz. Für mein Leben wäre Vanny das falsche Rad. Oder ich lebe das falsche Leben. Vielleicht brauche ich einfach ein eigenes Haus mit Außensteckdose – oder gleich eine Tiefgarage.
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