Die S-Klasse als letzte Bastion der Fahrkultur
In der Oberklasse sind elektrische Antriebe heikel. Hier geht es nicht bloß um Reichweite, sondern auch um Fahrkultur. Ob sich diese Einstellung einmal ändert? Das könnte dauern. ntv.de fährt den Hybrid Mercedes S 580e mit dem Besten aus zwei Welten.
Der Kulturkampf beim Auto wird selten in der sachlichen Klasse ausgetragen. Dort, wo schlichte Transportation gefragt ist, diskutiert man um Zahlen zu Themen wie Ladeperformance und Reichweite. Nicht, dass diese in der Oberklasse unwichtig wären - ganz im Gegenteil. Denn wer es sich leisten kann, mehr Geld für den fahrbaren Untersatz auszugeben, sitzt häufig auch viel länger darin und möchte keineswegs nur entspannt, sondern ebenso schnell ans Ziel kommen. Klare Sache. Doch es geht auch um Genuss. Und Genuss will mit allen Sinnen erfahren werden, hier spielt also Akustik und Haptik eine größere Rolle - kurz ausgedrückt: Das Fahrgefühl muss stimmen. Und nicht nur das. Die Etikette nämlich ebenso. So wurde die Modellbezeichnung "500" bei Mercedes zum Synonym für den "schweren Wagen", natürlich mit starkem Achtzylinder unter der Haube. Das war mal.
Mercedes hat ja längst abgerüstet. Denn der Fünfhunderter ist mittlerweile zum Sechszylinder geworden, während der 580 nun die V8-Fahne hochhalten muss. Aber der S 580e? Fehlanzeige in puncto V8, die Techniker vermelden Reihensechszylinder. Aber immer noch schenkt Mercedes drei Liter ein, so viel Hubraum muss sein. Statt zwei zusätzlicher Zylinder gibt es eben eine Elektromaschine. Hier bröckelt etwas, könnte man sagen. Die Autohersteller möchten offenbar auch die Oberklasse langsam auf den Elektropfad bringen.
Doch kann das funktionieren? Immerhin, schwächlich ist der S 580e nicht, der im hier konkreten Fall als Kurzversion mit Allradantrieb "4Matic" anrollt. Eine S-Klasse in Buchhalter-Ausstattung bloß mit dem Nötigsten an Bord. Ja, das klingt leicht ironisch und ist auch so gemeint. Wobei, der Fond fällt trotz geschmeidig-belederter Sitze eher knöpfchenarm aus, was bei dieser Fahrzeuggattung heute einerseits befremdlich, anderseits erfrischend simpel anmutet. Es muss nicht immer volle Hütte sein, und man überlebt auch ohne Bildschirme in der zweiten Reihe.
S 580e hat Druck, aber entfaltet ihn fast unmerklich
Doch zurück zum Antriebskonzept und jetzt mit Zahlen untermauert. Zum 367 PS starken Turbo mit der Kennziffer M256 gesellen sich noch 150 elektrische Pferdchen - macht gemeinsam atemberaubende 510 PS für einen eher schlicht anmutenden Luxus-Cruiser. Und in der Tat wirkt der 5,18 Meter lange Zweieinhalbtonner alles andere als sportlich, sondern samtig-weich, darf vielleicht als letzte Bastion der Fahrkultur durchgehen. Und jetzt kannst du dich entscheiden - soll es elektrisch vorangehen oder mit Beteiligung der Ottomaschine? Klar ist, dass die vom Werk ausgegebenen 4,9 Sekunden bis 100 Sachen bloß mit der Systemleistung realisierbar sind. Dennoch lässt sich ausgiebig elektrisch fahren, nämlich auf Wunsch über 100 Kilometer weit. In der Stadt, wo sowieso keine hohe Motorleistung gefragt ist, klappt das gut.
Aber eben nicht emotional. Denn auch wenn die S-Klasse in erster Linie leise sein soll, halbiert der Elektromotor den Genuss - mindestens. Wenn sich der Stern als Kühlerfigur erhebt, ist es einfach schön, dazu auch zurückhaltendes Fauchen bis leicht kerniges Singen zu hören und kein totes Commuten zu erleben. Doch warum gönnt man dem Hybrid keinen Achtzylinder? Macht man durchaus, aber nicht ohne AMG-Badge. Außerdem schmilzt dann das Akkuvolumen dahin, das beim Fünfachtzig immerhin knapp 22 kWh nutzbare Energie enthält. Nachfüllbar mit 60 kW per CCS-Stecker (Gleichstrom), damit der Plug-in-Hybrid auch ja bei jeder Gelegenheit elektrisch bewegt werden kann, um CO2 einzusparen. Wer das tut, möge nicht vergessen, die Schnellladefunktion vorher auf dem Touchscreen einzuschalten. In diesem Fall kommt der Stromspeicher in der Regel nach rund 20 Minuten wieder zu Kräften.
Hybrid-Strang arbeitet ansatzlos
Doch obwohl das System darauf ausgelegt ist, möglichst häufig elektrisch zu fahren, ist der S 580e in der Realität wohl häufig auch hybridisch unterwegs. Und daher haben sich die Ingenieure ins Zeug dafür gelegt, das Zusammenspiel zwischen Benziner, Elektromotor und Neunganggetriebe (Automatik) möglichst harmonisch zu gestalten. Verzögerung bei prompter Leistungsanforderung? Minimal. Ruckelei beim Durchschalten der Gänge? Fehlanzeige.
Am Ende ist der zweimotorige Luxus-Benz sogar als Kurzversion (Beinfreiheit im Fond üppig, wenngleich nicht ausufernd) ein ultrasanfter Kilometerfresser mit sensibler adaptiver Luftfederung und anschmiegsamen Hightech-Fauteuils, die gegen knapp 3000 Euro Aufpreis massieren und den Allerwertesten sommers herunterkühlen. So kennt man die S-Klasse außerdem: als außergewöhnlichen fahrbaren Untersatz mit verrückten Extras wie Gurtbringern im Fond oder Komfortkopfstütze. Was die S-Klasse nicht so gut kann? Fancy Infotainment mit großen Display-Landschaften bieten. Stattdessen wirkt das Kombiinstrument mittlerweile dann doch etwas altbacken. Und das gleicht auch eine umfangreiche, in zig Farben erstrahlende Ambientebeleuchtung kaum aus.
Die große Frage ist, wo die S-Klasse hinsteuert. Was kommt also danach? Aktuell ist der Klassiker jedenfalls die Speerspitze in der Komfort-Disziplin, überlegen auch dem zweifellos nicht unluxuriösen EQS mit rein elektrischem Antrieb. Auch wenn sich die Untertürkheimer nicht in die Karten schauen lassen, darf man davon ausgehen, dass der Verbrenner einstweilen erhalten bleibt sogar inklusive Achtzylinder. Reicht denn auch der hier besprochene Sechszylinder, um hohe Komfortansprüche zu bedienen? Faktisch schon, aber psychologisch schmerzt die Abwesenheit des Sehnsuchtsmotors mit acht Töpfen unter der Haube schon ein bisschen. Und ob bei einem Auto zum Grundtarif von mehr als 118.000 Euro das Argument zieht, hybridisch auch mal mit unter neun Litern je 100 Kilometer unterwegs sein zu dürfen (so sinnvoll das für die Umwelt auch sein mag), darf bezweifelt werden. Wer aber beispielsweise seinen eigenen Strom per Photovoltaik erzeugt und bloß gelegentlich lange Strecken mit dem Mercedes-Topliner zurücklegt, darf mit dem PHEV auf herrlich dekadente Art und Weise umweltfreundlich zum Bäcker gondeln. Und das ist ja auch irgendwie ein schönes Gefühl.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke