Mit der Mercedes-EQE-Limousine über den Großglockner
Warum ist Reichweite beim Elektroauto nicht gleich Reichweite? Es kommt stark auf den Fahrzyklus an. Der Autor dröselt das anhand einer ausgedehnten Tour rund um den Großglockner auf - mit dem effizientesten aller Mercedes EQE 350.
Der Killer für das Elektroauto ist für viele Menschen nicht bloß der fehlende Motorsound. Neben potenziell längeren Wartezeiten am öffentlichen Charger spielt auch eine Rolle, dass Reichweite oft nicht zuverlässig angegeben werden kann und sich überdies nicht reproduzieren lässt. Woran das liegt? Das dröselt ntv.de im Rahmen einer Tour um den Großglockner auf.
Objekt der Betrachtung ist ein per se reichweitenstarker Mercedes-Bussinesklässler der Baureihe EQE als Limousine (intern V295). Hier tritt ein 350 an mit dem "+" auf dem Kofferraumdeckel. In diesem Kontext gibt es keinen Allradantrieb und der Stromspeicher fasst statt 90 ganz schön üppige 96 kWh. Effizienz und große Batterie sind schließlich der Schlüssel zu hoher Reichweite. Probe aufs Exempel, also Blick auf die Reichweiteanzeige im noblen Dreifuffzig: Propere 630 Kilometer stehen auf der Uhr bei 98 Prozent State of Charge.
Und was passiert demnächst mit der vielen Energie? Man könnte sagen, sie wird auf rund 250 Kilometer lang durch Höhen und Tiefen verzehrt - aber nicht komplett. Der EQE 350+, hier noch das Modell mit 292 PS, schraubt sich Kraft seiner 765 Newtonmeter mit einer spielerischen Leichtigkeit auf rund 2400 Meter den Großglockner hinauf. Allerdings werden auf streng limitierten Landstraßen keine hohen Geschwindigkeiten erreicht. Wenn du mal 120 Sachen auf einem menschen- und verkehrsarmen Stück schaffst, bist du schon im Bereich empfindlicher Geldbußen. Also muss der 4,95 Meter lange Benz keine große Kraftanstrengung leisten. Das bisschen Steigung? Macht er mit links.
Bergab wird nicht der Motor, sondern der Akku gespeist
Und nach dem Erklimmen des Gipfels wird es erst richtig interessant. Bergab braucht der EQE seine Betriebsbremse, also die vier Bremsscheiben, so gut wie gar nicht. Verzögern gelingt quasi lediglich über die Rekuperation, also die Bremsenergie-Rückgewinnung. Und nichts ist besser für dieses Szenario als konstantes Gefälle. Und so kommt der Benz nach der ausgedehnten Runde auf einen Fabelverbrauch von 15,7 kWh je 100 Kilometer.
Dieser Wert rangiert noch unter der WLTP-Gesamtangabe von 16,1 kWh. Und in der Tat wären bei einem solchen Fahrprofil über 600 Kilometer Fahrt problemlos möglich. Man muss ganz klar sagen, dass ein Verbrenner auf diesem Streckenlayout ganz klar ins Hintertreffen geraten würde. Auf der Abfahrt könnte er kaum herausholen, was die benzin- oder auch dieselgefütterte Kolbenmaschine auf dem Weg nach oben zusätzlich beispielsweise zu einer konstanten Autobahnfahrt verköstigen würde. Vor allem die forcierte Fahrt im kleinen Gang und mit hoher Drehzahl gen Gipfel würde ihren Tribut einfordern.
Doch der Fairness halber muss ich dieses hier besprochene Szenario einordnen. Denn genau wie bei jedem anderen batterieelektrischen Vehikel ist auch beim EQE 350+ auf der Autobahn ein stärkeres Abweichen vom WLTP-Gesamtwert zu erwarten als beispielsweise von Autos mit Verbrennungsmotoren. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass ein Elektromotor einen anderen betriebsgünstigen Bereich hat als ein Diesel- oder Ottotriebwerk.
Bei einer Fahrt mit 130 km/h Richtgeschwindigkeit schmilzt der Energievorrat bei Stromern zusammen (Luftwiderstand wächst exponentiell), und wenn es dann draußen noch frisch ist und man auf der deutschen Autobahn einen Zacken zulegt, könnten auch mal 25 statt 15 kWh Verbrauch auf der Uhr stehen. Klar, der EQE hat inzwischen eine Wärmepumpe, allerdings lassen Akku und Aggregat aufgrund hoher Wirkungsgrade viel weniger Wärme für die Passagierkabine übrig als ein Verbrenner. Und bei leistungsstarken Fahrzeugen wird bei der WLTP-Verbrauchsermittlung eben deutlich länger langsam als schnell gefahren, was die Realreichweiten abschmieren lässt.
Lademuffel, aber einer mit viel Komfort
Und dann schlagen plötzlich zwei Herzen in der Brust des EQE-Fahrers. Auf der einen Seite steht hier der souveräne Businesstourer mit Allradlenkung (zehn Grad Lenkeinschlag an der Hinterachse), geschmeidiger Luftfederung sowie ultrakomfortablen Sitzen. Gegen 1820 Euro kneten die Polsterflächen geschundene Langstreckler-Rücken sogar in verschiedenen Intensitäten und mit diversen Programmen durch.
Und anderseits: Nach potenziell 350 bis 450 zügig gefahrenen Autobahnkilometern wird bereits der erste Halt am Supercharger nötig. Mercedes macht übrigens weder einen Hehl daraus, dass man eine etwas längere Ladepause einlegen muss (laut Werk 32 Minuten für 10 bis 80 Prozent bei einer Peakladeleistung von 170 kW). Noch verschweigt der Hersteller, dass bei Autobahnfahrt nominal rund 19 kWh pro 100 km fällig werden. Und das gilt lediglich, wenn moderate Außentemperaturen herrschen.
Dennoch zählt der EQE zu den reichweitenstärksten Limousinen mit hohem Fahrkomfort. Dass bei einem Auto zum Grundtarif von 71.411 Euro eigentlich längst 800 Volt im Spiel sein sollten, wissen die Stuttgarter selbst, da muss man nicht lange drauf herumreiten. Und wenn der CLA das bekommt (fährt bald zum Kunden), wird es auch zwei Klassen höher angeboten werden irgendwann. An der Tatsache, dass der EQE seine Passagiere leise und wattig an jedwede Ziele verfrachtet, ändert dieser Umstand nichts.
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