AH: Herr Winges, das BFSG gilt ab Juni europaweit. Was bedeutet das konkret?
M. Winges: Das BFSG ist Teil der europäischen Richtlinie zur Barrierefreiheit, auch European Accessibility Act oder EAA genannt. Damit sollen alle Menschen gleichberechtigt am Wirtschaftsleben teilhaben können. Um dies zu ermöglichen, müssen verschiedene Produkte und Dienstleistungen einschränkungsfrei genutzt werden können. Dazu zählen neben Hardware und Endgeräten auch Software wie Apps, Betriebssysteme und die Website eines Unternehmens.

AH: Wie viele User sind davon betroffen?
M. Winges: Mehr als die meisten im ersten Moment vielleicht denken. Laut WHO haben 16 Prozent aller Menschen weltweit körperliche oder kognitive Einschränkungen. In Deutschland sind es laut Statistischem Bundesamt 9,4 Prozent oder 7,8 Millionen. Das ist auch für den Autohandel ein ernst zu nehmender wirtschaftlicher Aspekt.

AH: Worauf kommt es bei einer Website vor allem an?
M. Winges: Jede Website sollte unabhängig vom BFSG eine gute Usability haben. Daher gibt es bereits gewisse Standards, zum Beispiel, dass man durch den Klick auf das Logo wieder zur Startseite gelangt. Damit die visuelle Barrierefreiheit gewährleistet ist, sollten Texte gut lesbar sein sowie Farben und Kontraste entsprechend abgestimmt werden. Auch eine leicht nachvollziehbare Seitennavigation ist eine Grundvoraussetzung.

AH: Welche Aspekte gibt es noch?
M. Winges: Videos sollten unbedingt mit Untertitel, am besten in mehreren Sprachen, versehen werden. Für Personen mit kognitiven Einschränkungen gibt es zudem die Möglichkeit, Texte durch einen Klick in leicht verständlichen Worten einzublenden. Dazu können auch Grafiken komplett ausgeblendet und der Text größer angezeigt werden. Ein wichtiger Punkt ist auch das Audiovisuelle, also die Vertonung für Screenreader, damit der Text automatisch vorgelesen werden kann. Für Bilder gibt es sogenannte Aria-Labels. Hier werden beschreibende Texte zu Bildinhalten vorgelesen.

© Foto: Carnomy

"Eine Internetseite muss gänzlich über die Tastatur steuerbar, lesbar, hörbar und erkennbar sein."

Markus Winges, Geschäftsführer von Carnomy

AH: Lässt sich das auf einer Website abbilden, ohne dass das Design darunter leidet?
M. Winges: Das geht. Beim Visuellen genügt es oft schon, mit Inversfarben zu arbeiten oder den Hintergrund abzudunkeln, damit die Schrift besser zur Geltung kommt. Bei audiovisuellen Elementen unterstützt uns immer häufiger künstliche Intelligenz, beispielsweise durch automatische Untertitelung oder multilinguale Voice-Bots. Generell gilt: Eine Internetseite muss gänzlich über die Tastatur steuerbar, lesbar, hörbar und erkennbar sein.

AH: Ist das bei der Autohaus-Website noch anspruchsvoller als in anderen Branchen?
M. Winges: Autohaus-Websites müssen sehr viele Funktionen erfüllen. Neben der schnellen Wissens- und Informationsvermittlung sind viele Systeme angeschlossen: das DMS, Tools für den Hereinnahmeprozess, Leasing und Finanzierung, Teileshop, Onlineterminvereinbarung, Mietwagen und noch vieles mehr. Diese Dienste und Bereiche müssen beim BSFG ebenfalls berücksichtig werden, was die Sache noch umfangreicher macht.

AH: Wie kann festgestellt werden, ab wann eine Website gemäß BFSG barrierefrei ist?
M. Winges: Dafür gibt es im Visuellen feste ISO-Normen, die das Verhältnis und den Einsatz von Komplementär-farben, hohen Kontrastwerten und Schriftgrößen regeln. Selbst Google hat schon vor Jahren gewisse Regularien in Bezug auf die Lesbarkeit von Internetseiten als Ranking- oder Qualitätsfaktor herausgebracht. Beim Cumulate Layout Shift oder CLS werden Seiten, deren Schrift beim Laden von Seiten-Elementen springt oder verwischt, niedriger gerankt.

AH: Müssen die notwendigen Tools extra programmiert werden?
M. Winges: Glücklicherweise gibt es mittlerweile viele Out-of-the-box-Lösungen. Zum Beispiel nutzen wir Script-Plug-ins. Diese basieren auf bestimmten Algorithmen und lesen dann zum Beispiel vorhandene Wörter oder Texte vor. Das alles händisch zu programmieren, würde jeden finanziellen Rahmen sprengen.

AH: Viele Nutzer surfen mit Mobilgeräten. Macht das einen Unterschied?
M. Winges: Wenn eine Seite eine mobile Ansicht hat und somit responsiv ist, muss man sich zusätzlich Gedanken machen, wie auf dem Smartphone die Navigation eingeblendet wird, ob es Animationen gibt, ob die Schriftgröße stimmt usw. Die Usability ist bei responsiven Seiten auch ohne BFSG ein wichtiges Thema. In meinen Augen ist hier „Minimalismus“ eine gute Norm: Alle Inhalten müssen verständlich sein ohne unnötige Ablenkungen.

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